1884, Briefe 479–567
564. An Franziska und Elisabeth Nietzsche in Naumburg
Donnerstag <4./11. Dezember1884> Pension de Genèvepetite rue St. Etienne. Nizza.
Meine Lieben,
schönsten Dank, alles ist jetzt in meinen Händen. Eure Briefe klingen winterlich-gemüthlich. Für mich — muß es bei Nizza bleiben: die feine Probe mit etwas so Benachbartem und Ähnlichen (in manchen Beziehungen sogar Wohlthätigeren) wie Mentone, welche durchaus zu Gunsten von Nizza ausgeschlagen ist, ist sehr lehrreich; ebenso ist Ajaccio ganz aus dem Felde geschlagen, seit ich durch Herrn Lansky darüber so unterrichtet bin als ob ich dort gewesen wäre. Nun ist Vieles oder Alles hier für mich noch zu erfinden — und ich hoffe, daß ich zum letzten Male mich stumm und demüthig in eine solche Pensions-Unwürdigkeit hineingesteckt habe.
Herr L<anzky> welcher 4 Wochen hier auf „mein Kommen und Verzeihen“ gewartet hatte und schließlich nach Ajaccio abgereist war, ist sofort zurückgekehrt, als ich ihm telegraphirte: „Venez pour Nice. Votre ami N.“ Er telegraphirte zurück: „Je serai a Nice mercredi. Votre bienheureux Lanzky“. — Er hat einen Begriff davon, wer ich bin. Im Ganzen aber, um mich französisch auszudrücken: il m’ôte la solitude, sans me donner la compagnie. — So wird es denn diesen Winter nichts mit dem 4. Zarathustra werden. — Er war mehrere Jahre Redakteur der rivista Europea und kennt diese Welt der Litteraten und Buchhändler. — Ich brauche, für mein späteres Leben hierselbst 1) eine unabhängige Wohnung 2) eine Köchin 3) meinen Musiker Köselitz (mit 5 Stunden wöchentlich und einem kleinen Zuschuß von seinem Vater kann er hier leben, er hat mir dies zugestanden: die Stunden muß ihm meine alte gute Mansuroff bei ihrer hiesigen russischen Gesellschaft verschaffen) Ich könnte noch einige 4) und 5) hinzufügen, bemerke aber ausdrücklich, daß darunter ganz und gar nicht eine „Ehegattin“ eingerechnet ist.
K<öselitz> wird am 7. Dez. seine Löwen-Ouvertüre in einem Tonhallen-Concert selber dirigiren. — Unter seiner Tischgesellschaft ist das Fräulein von Salis, zu seinem großen Mißbehagen.
Dein letzter Brief, mein liebes Lama, enthielt einen Irrthum, den ich, auch zur Mittheilung an Onkel Bernhard, hiermit gründlich beseitigen möchte. Also: Herr Schm<eitzner> kann, wenn er will, die von den vereinbarten 1000 noch vorhandenen Exemplare meiner Schriften an irgend einen Buchhändler verkaufen, er kann aber nicht das Verlagsrecht dieser Schriften verkaufen, weil er es nicht besitzt! Das Recht, meine Schriften zu verlegen, also neue Auflagen zu veranstalten, habe ich ganz allein zu vergeben: und zwar bis auf 30 Jahre nach meinem Tode hinaus. (Es ist dies, unter Umständen, etwas, das mich vermögend machen kann) (Dies ist auch das Urtheil des Herrn Lansky)
Also, liebes Lama, es ist eine große Dummheit, daß ich jetzt nicht nach Leipzig kann. Bei reiflicher Überlegung finde ich es nicht rathsam, daß Du an meiner Stelle mit Leipziger Verlegern redest: auch mit Heinze sprich nicht davon (das ist ein unschlüssiger und ängstlicher Charakter, nicht nur nach meiner Ansicht; überdieß hat er nicht den entferntesten Begriff von meiner Bedeutung, ich meine: er hat keinen „Glauben an mich“ und ist geistig zu gering! Dies unter uns; Du weißt ja, daß ich ihn persönlich gern habe)
Die Summe 20 000 M. ist eine alberne Schwindelei des Schmeitzner. Gesetzt es giebt von den ursprünglich hergestellten 13 000 Exemplaren meiner Schriften (es sind 13, jedes ist in 1000 E. gedruckt) noch die Hälfte, was wohl die ungefähre Wahrheit sein wird, also c. 7000, so würde der unverschämte Schwindler dann immer noch 3 Mark ungefähr für jedes Exemplar haben wollen!! — während unter den 13 Büchern 7 sind, deren Buchhändler-Preis 3 Mark oder weniger beträgt!! (die 4 Unzeitgemäßen und die 3 Zarathustra’s) Wenn Beschlag auf etwas gelegt werden muß, gut, dann auf meine Bücher: die vorhandenen Exemplare werden ungefähr den Werth von 5—7000 Mark repräsentiren; ich meine, für diese Summe gelänge es mir etwa, sie an einen Verleger zu verkaufen, falls sie mir, bei Zahlungs-Unfähigkeit Schmeitzner’s, verbleiben sollten. Dies Verkaufen würde ich persönlich abzumachen haben: — schlimmsten Falls müßte ich deshalb nächstes Jahr nach Leipzig kommen. —
Inzwischen aber hoffe ich, daß Schm<eitzner> mir dies erspart und seinerseits einen Käufer findet. — Seid guter Dinge, meine Lieben! So lange diese Geschichte schwebt, ist alles geistige Schaffen unmöglich. Euer
F.
Schm<eitzner> hatte meine Adresse nicht und that deshalb ganz recht, seinen letzten Brief nach Naumburg zu adressiren. — Ich schrieb im letzten Briefe an Euch, daß ich selber ihm brieflich schon den „Wink“ gegeben habe.