1884, Briefe 479–567
506a. An Paul Lanzky in Florenz (Entwurf)
<Venedig, Ende April 1884>
Aber, mein werther Herr Lanzky, warum schreiben Sie mir das? Wollen Sie mich reizen, Mehr zu sagen, als ich Lust habe? — — Oder soll ich zu der absurden Rolle hinabsteigen, meinen Zarathustra (oder seine Thiere) erklären zu müssen? Dafür, denke ich, werden irgendwann einmal Lehrstühle und Professoren dasein. Einstweilen ist es noch lange nicht Zeit für Zarathustra — und ich will mich verwundern, wenn in dem Rest meines Lebens mir fünf, sechs Menschen begegnen, welche Augen für meine Ziele haben. „Einstweilen“ — das heißt so lange noch alle diese Allemanderies und niaiseries von „Bejahung und Verneinung des Willens zum Leben“ — — —
Bemerken Sie doch: ich habe mich mit diesem übermenschlichen Bilde ermuthigen wollen.
Alle Menschen aber, die irgend einen heroischen Impuls in sich haben zu ihrem eigenen Ziele hin, werden sich eine große Kraft aus meinem Zarathustra herausnehmen.
Was habe ich mit Denen zu thun, die kein Ziel haben! Mein Leibrezept, beiläufig bemerkt, ist, in Hinsicht auf Solche, — Selbstmord. Aber er mißräth gewöhnlich, aus Mangel an Zucht. Da empfehle ich denn, zur Vorbereitung, eine verbesserte Diät (energische Fleischkost und Nichts von den verdammten italienischen Paste secche) und täglich 5 — 8 Stunden strammen Marschirens im Freien. Auch Soldat-werden thut gut.
Wollen Sie mich davon überzeugen, was ich zu gut weiß, — daß das schwerste und tiefste aller Bücher aller Zeiten auch am schwersten und tiefsten mißverstanden werden muß?
— — — ist das nicht genug?
So, mein Herr! Nun will ich mir einmal Luft machen.
Sie erleben die Entstehung des erhabensten und zukunftsreichsten aller Bücher, die je geschrieben wurden, — Sie haben die Ehre, in dem Zeitalter dieses Buches zu leben: und wie? es ist Nichts in Ihnen, welches das Dasein dafür selig preist, daß solche Dinge entstehen können? Und Sie haben Nichts mir zu schenken, zu geloben? Nichts sich selber oder irgend einem heroischen Genius einsamer Entschließungen zu schwören und zu geloben? Nicht einmal die Allemanderies und niaiseries des trübseligen Gesindels von heute haben Sie aus dem Kopfe verloren, welches für seine Willensschwäche beschönigende Phrasen sucht!
Wie? Sie „sehen meine Ziele nicht“? Gut; was ist da zu verwundern? Ist es aber meine Schuld, wenn Sie nicht meine Augen im Kopfe haben? Sind es denn Ziele für Jedermann? Was haben Sie — mit meinen Zielen zu thun? Was mit dem „Leben“? Ich wollte von den Zwecken Ihres Lebens hören! Hätten Sie welche, so könnten Sie damit vielleicht ein Werkzeug des meinigen sein. Fort mit Ihnen, mein Herr Unbescheiden! Gardez votre distance, monsieur!