1884, Briefe 479–567
543. An Heinrich Köselitz in Annaberg
Zürich Pension Neptun 14. Oktober 1884Dienstag
Heute morgen, lieber Freund, hat unser Hegar mit seinem Orchester Ihre Ouvertüre studirt, um sie mir nächsten Sonnabend Morgens 1/2 11 Uhr zwei Mal hintereinander vorzuspielen (Tonhalle)
Den Nachmittag war ich mit ihm zusammen und ließ mir erzählen. Daß Sie doch dabei gewesen wären! Er sprach mit großer Sympathie und aufrichtigem Wohlwollen für — uns Beide. „Sehr viel Talent“ — und dergleichen, was sich von selber versteht. Aber — denn es giebt ein „Aber“ — er wurde nicht müde, das dringendste Bedürfniß auszudrücken, daß Sie ein Orchester in die Hände bekommen müßten (er findet im Punkt der Instrumentation fortwährend jenen Widerspruch zwischen der Feinheit der Absichten und dem „Irrthum der Mittel“, und demonstrirt es an Beispielen.) Er sprach von Ihrem „imaginären Orchester“; auch davon, daß Sie gewisse Farben-Effekte, die Ihnen zusagten, im Übermaaße gebrauchten und abbrauchten usw. usw. Es legte sich mir ein Alp auf die Brust: er meinte, Ihr Werk klinge unbedingt anders als Sie sich vorstellten, und Sie selber würden am meisten verwundert beim Zuhören sein.
Ich schicke diese Zeilen ab, mit dem nicht zu verbergenden Wunsche, Sie möchten am Sonnabend mit zuhören. Wenigstens fürchte ich die Verantwortlichkeit, allein dabei zu sitzen, mit meiner erbärmlichen Laienhaftigkeit und Liebe zu Ihnen. (Das Adjektiv „erbärmlich“ gehört nur zum ersten Worte)
In treuer Liebe zu Ihnen
FN.
— — die Sache scheint mir von der äußersten Wichtigkeit für Sie, für die deutsche Musik, für uns. Wenn Sie nicht an die Dresdener Aufführung glauben, so kommen Sie doch ja! — —
Schönsten Dank für den eben erhaltenen Brief! Muth! Hoffnung! Ich bleibe hier bis Ende Oktober.