1874, Briefe 339–411
410. An Erwin Rohde in Kiel
den 21 Dez. 1874. Basel.
Morgen, mein liebster Freund, soll’s heimwärts gehen, und es giebt höllisch viel noch zu bedenken, einzukaufen, selbst noch ein paar Stunden zu geben, dann muss ich noch ein paar schöne Verschen machen, um sie in schön gebundene Bücher zu schreiben und soeben hatte ich den Besuch meines trefflichen Schülers Freundes und blauen Husaren Adolf Baumgartner, der mit einer ganzen Weihnachtsbescheerung bei mir antrat und selbst eine Bescheerung war; selbst noch ein Dichter meldete sich heute Abend, Hr Theodor Opitz, Übersetzer von Petöfi; er schickte ein Gedicht, mit der Überschrift „Schopenhauer als Erzieher“. Overbeck ist schon fortgeflogen in die Ferien und hat mir noch auf dem Bahnhofe aufgetragen, Dir seine Weihnachts- und Neujahrswünsche zu „übermitteln“ (wie der nunmehr selige Tischendorf zu sagen beliebte) Romundt der Unselige bleibt zurück wie ein Vogel auf seiner Stange: aber Ostern ist es aus mit seiner akademischen Nonsinecura, dann gehts hinaus; hier ist nichts für ihn günstig gestimmt. Dr. Fuchs ist ein gutes Vorbild, der hat sich eine neue Heimat gegründet, in Hirschberg in Schlesien, er schrieb nach langer etwas athemschwerer Pause vorgestern zum ersten Male wieder, gut und frei und mich völlig um- und einstimmend. Wagner ist am 21 November mit der Nibelungen-Partitur fertig geworden — Laus Deo! Krug und Pinder kommen mit ihren Weiberchen nach Naumburg, Gersdorff geht auch nach Hause und vielleicht zu den Grafen Einsiedels, auf Liebeswegen (m<ezza> v<oce>, ja selbst pp. im sanftesten decrescendo); ich selber schleppe meine Noten zusammen, um in diesen Erholenden Ferien das ganze musikalische Opferfest meiner Kindheit und Jugend noch einmal zu feiern und durch Abschreiben zu codificiren: wobei mir der einarmige Thürmer auf dem Naumburger Domthurme helfen soll. Der hymnus wird nun noch einmal umgeschrieben, für 2 Hände, aber für a bitzeli grosse Hände. Mit meiner Vorlesung über griech. Litteratur bin ich glücklich bis zu Tryphiodorum gekommen, resp. bei ihm stecken geblieben, will sagen, ich habe Epom abgehaspelt, verzeih mir die casuswidrige Wuth bei dieser Rückerinnerung — ich hoffe in drei Semestern mit meinem „Abriss“ fertig zu sein, aber es ist mehr eine καλὴ ἐλπίς.
In alle diese Bewegung und diese feuchten Schwingen fiel ein Kästlein Kieler Sprotten hinein, ich will nicht sagen wie ein Blitz bei heitrem Himmel, aber wohl wie ein Regen bei trockner Erde, wenn die Bäche klein sind und nur noch schleichen (Du siehst ich habe vom Epos die fürchterliche aber durchgehende Eigenschaft der unpassenden Gleichnisse angenommen) Kurz, sie haben trefflich geschmeckt, wir alle bezeugen es; in Betreff der Urheberschaft machte ich sofort folgende epigrammatische Dichtung
Dieser Sprott
Ist nicht von Gott,
meine, er kommt von Rott.
Soeben sehe ich nach der Uhr, schaudere, es ist gleich Eins (Nächtens!), Pflicht und Bett rufen und so bleibt mir nur noch eine Tinte voll Feder übrig — umgekehrt! um Dir zu sagen, dass ich jetzo und in kommenden Jahren Dein getreuer Freund und Bruder sein und bleiben will
Gute Nacht.
Dein
Fridericus.