1874, Briefe 339–411
352. An Mathilde Maier in Mainz
Basel, 11. März 1874
Verehrtes Fräulein!
Sie geben mir wieder einen Beweis von hochzuschätzender persönlicher Theilnahme; wie sehr muß ich gerade deshalb bedauern, Ihrem für mich so ehrenvollen Anliegen mit einem Nein zu entgegnen. Nein, das kann ich nicht! Im Namen der Frauen das Wort zu führen ist mir versagt; was ich Ihnen allerdings auf indirekte Weise sogar demonstriren kann. Lesen Sie den mitfolgenden Mahnruf an das deutsche Volk, den ich vorigen Herbst geschrieben habe. So und nicht anders empfinde ich in dieser Sache, so und so stark spreche ich, wenn ich einmal sprechen muß — freilich zu stark selbst für Männer, wie der Erfolg mich damals belehrt hat. Die Vertreter der Wagner-Vereine, die in Bayreuth zusammenkamen, wagten nicht, ihre Namen unter diesen Aufruf zu setzen. Milder über die Sache zu denken habe ich inzwischen nicht gelernt, und die schöne frauenhafte Milde, die Ihrem Geschlecht auch in harten und verzweifelten Lagen ansteht, ist dem meinigen versagt.
Also Verzeihung, wenn ich einfach sage „ich kann nicht“.
Übrigens freut es mich sehr, von dem Enthusiasmus der Frau Schott gerade aus Ihrem Munde zu hören. Denn ich zweifelte, offen gestanden, bis jetzt ein wenig an ihm, weil ich weiß, wie thätig, ja wie entscheidend dieser Enthusiasmus sich äußern könnte, und weil ich doch nichts von diesen Äußerungen bis jetzt gehört habe. Sie machen mir, verehrtes Fräulein, wieder Hoffnungen, dadurch, daß Sie mir diesen Enthusiasmus verbürgen.
Auf Ihren tiefen und nachdenklichen Brief über die Geburt der Tragödie schrieb ich Ihnen nicht, ich erwartete immer noch die Gelegenheit der zweiten Auflage jener Schrift, um Ihnen zu danken.
Meinen Augen geht es besser als im vorigen Sommer, doch nicht so befriedigend, als Sie mit Ihrer gütigen Theilnahme vielleicht wünschen möchten.
Ich dictierte bis jetzt, verehrtes Fräulein. Seien Sie nicht böse über das absolute Nein. Übrigens: glauben Sie an die sogenannte „deutsche Frau“, daß Sie es wagen würden, sich an sie zur Unterstützung unserer Bayreuther Wunderhoffnungen zu wenden? Glauben Sie? Ich glaube nur an einzelne Individuen, zweifle aber — sträflicher Weise — an allem, was in Zeitungen und Zeitromanen als „deutsches Weib“ glorificiert wird. Dies sage ich Ihnen, weil ich Sie sehr ehre.
Ihr ergebener
Dr. Friedrich Nietzsche.