1874, Briefe 339–411
376. An Carl von Gersdorff in Gnadenberg
Basel den 9 Juli 1874.
Denke Dir, theurer Freund, vorgestern haben wir den Rathsherrn Vischer zu Grabe geleitet. Er starb auf die schmerzhafteste Weise, an Nieren- und Blasenleiden. Wir sind alle recht betrübt, ich zumal, der ich weiss, was ich an ihm verloren habe. — Sein Nachfolger wird voraussichtlich der Partei des „Volksfreundes“ angehören. —
Hier giebt es eine wahnsinnige Hitze, vom frühen Morgen an. Sonntag will ich in Zürich etwas Musik hören (unter Hegar’s Leitung)
Dr. Fuchs überschwemmt uns mit Briefen.
Etwas ganz Rührendes habe ich von Seiten des alten Oswald Marbach erlebt. Er hatte mir, obwohl wir uns nicht kennen, seine ausgezeichnete Übersetzung der Oresteia überschickt, als Dank für die ihm inzwischen bekannt gewordene „Geburt der Tragödie“, über die er sich aussprach. Ich antwortete ihm, wenngleich spät. Und nun hat er sich in einem neuen Briefe gegen mich ausgeschüttet, dass es ergreifend zu hören ist: wie er sich nur zweier Begegnungen in seinem Leben freuen könne; die eine sei die mit Wagner, die andre die — mit mir. — Nun das klingt wunderlich, aber als an einer subjectiven Thatsache darf man daran nicht rütteln und mäkeln.
Die Florentinerin heisst Marchesa Guerrieri; sie hat schon zwei Mal geschrieben.
In mir gährt jetzt sehr Vieles, und mitunter sehr Extremes und Gewagtes. Ich möchte wissen, bis wie weit ich solcherlei meinen besten Freunden mittheilen dürfte? — Brieflich natürlich überhaupt nicht. Und furchtsam dürft ihr auch nicht sein; ich meine, ihr solltet an einen ordentlichen Fatalismus in Betreff Eures Freundes glauben und damit aller Sorgen für seine Gesundheit usw. enthoben sein. Wenn er noch etwas erreichen soll, muss er es auch erreichen können. Die Macht über die Mittel gehört zum Handwerk.
Lebe wohl getreuer Lieber.
Dein
Fridericus.