1874, Briefe 339–411
409. An Theodor Opitz in Liestal
Basel den 21 Dezember 1874.
Nun schon zum zweiten Male habe ich von Ihnen, geehrtester Herr, ein Zeichen sympathischen Einverständnisses erhalten. Will ich versuchen Ihnen dafür zu danken, so müssen Sie mir auch freistellen, es auf meine Weise zu thun, ich meine hier nämlich, auf eine recht bescheiden-hochmüthige Art. Ich sehe von dem Persönlichen solcher Begegnungen ab und vergesse, daß Sie mich gelobt und geehrt haben, denke mir aber, daß Sie und ich über irgend etwas sehr Wesentliches Einer Meinung und daß wir Beide Recht haben. Darauf nämlich kommt es an, wirklich glauben zu können, daß man mehr Recht hat mit seinen unzeitgemäßen Meinungen als die ganze Zeit mit ihren zeitgemäßen: da steckt das Hochmüthige, von dem ich sprach, da aber auch das Bescheidene. Denn es ist gar kein Verdienst dabei von einer grünen Thür zu sagen sie sei grün und von der Wahrheit, sie sei wahr. Wir thun damit doch eben nur das Unvermeidliche und nehmen den Steinen die Mühe ab, die ja, wenn wir schweigen, schreien müßten. Denn, über Schopenhauer etwas zu sagen war fast schon zu spät: mir scheint es, hier haben schon die Steine geschrieen.
Mit aufrichtigem Danke
Ihr
ergebenster
Friedrich Nietzsche.