1874, Briefe 339–411
363. An Erwin Rohde in Kiel
<Basel, 10. Mai 1874>
Liebster Freund, wir sind wohl beide wieder in Semester-Anfangs-Nöthen? Mein Ferienbissen von anderthalb Woche war schnell verschluckt; doch habe ich die letzten 6 Wochen gut angewendet, indem ich meinen Hymnum an die Freundschaft zu Ende componirt und schönstens für 4 Hände zu Papier gebracht habe. Dieses Lied ist für Euch Alle gesungen, und es klingt muthig und innig; ich glaube, wir halten’s mit dieser Stimmung noch eine tüchtige Weile auf der Welt aus. Sodann ist Nr. 3 meiner Unzeitgemässen soweit vorbereitet, dass ich nur auf einen warmen fruchtbaren Regen zu warten habe: dann ist’s plötzlich da wie ein Spargelgewächse.
In Bayreuth haben sie sich sehr über meine Melancholie betrübt und beunruhigt, die ich wohl durch einen Brief verrathen habe; aber wenigstens das weiss ich: es ist keine Verstimmung und Verdriesslichkeit. Sondern man geht eben auch so vorwärts. Gute Gesundheit! und gar keine Nerven!, glaub mir’s nur. Dich umarmend, guter Freund
Dein Friedrich N.