1874, Briefe 339–411
399. An Gustav Krug in Düsseldorf
Basel den 31 October. <1874>
Es ist wunderlich zugegangen, dass wir uns, mein lieber Freund, in diesem Jahre gerade gar nicht zu sehen bekommen haben. Nichts wollte passen; zuletzt muss ich gar noch gerade von Basel abwesend sein und Deinen Brief fast acht Tage zu spät bekommen. Und zwar war ich nicht in Deutschland; denn da, wahrhaftig, hätte ich Dir einen Besuch gemacht und wäre von Herzen gern Dein erster Hausgast gewesen. Inzwischen habe ich Dir meine jüngste Schrift zugeschickt; aber Gott weiss, ob sie gerade zu Deiner jetzigen Stimmung passt. Ich glaube nicht; lass sie also nur liegen. Aber ist es nicht wahr, nichts will jetzt zwischen uns mehr passen? — Und doch weiss ich keinen Schuldigen — es sei denn — Aber nein, ich sage kein Wort mehr.
Nun sage einmal: wirst Du es denn so einrichten können, dass wir im nächsten Sommer zusammen in Bayreuth sind, genau, von der Mitte Juli bis Mitte August? Ich werde dort mit meiner Schwester zusammen ein Logis haben; von meinen Freunden erscheinen Gersdorff, Rohde und Overbeck. Es wird die Zeit der grossen Instrumentalproben sein. Liszt ist auch dort, und wer nicht. Übrigens wird die Partitur der Götterdämmerung wohl in den nächsten Wochen fertig sein; nach den letzten Berichten jammert bereits die arme Gutrune. Klindworth ist in der zweiten Scene des dritten Actes; die beiden ersten Acte sind schon fertig gedruckt, im Sommer spielte sie Klindworth mir vor, denn ich war mit ihm zusammen in „Wahnfried“ ein paar Wochen zu Gaste.
Wie glücklich sind wir daran, gerade in der Zeit unserer besten Jugend, 30 Jahre alt, ἀκμάζοντες, wie die Griechen sagen, diese Bayreuther Dinge zu erleben! Und Du noch dazu zusammen mit der geliebten Frau! Du hast Dich, wie mir scheint, nach jeder Seite auf das Beste für jene Festtage eingerichtet und vorbereitet. „Dem Glücklichsten das Schönste!“ würden wiederum die Griechen sagen. ——
Ich selber lebe im Kampfe, aber doch, wie Du meinem Hymno angemerkt haben wirst, keineswegs desperat oder niedergedrückt; sondern muthig und voll guter Absichten und Hoffnungen, als einer, der sich strengstens vorgesetzt hat, noch 45 Jahre zu leben und nicht nachzugeben.
Dabei gedenke ich Deines bevorstehenden Geburtstages, zu welchem ich Dir diesmal wahrscheinlich als der Erste gratulire. Ich sage nun nicht mehr als dies: möge alles das, was Deine Frau für Dich und zu Deinem Besten wünscht, in Erfüllung gehen: dann werden auch Deine alten Freunde über Dich und Dein Glück sich freuen können.
Dank Dir, lieber alter Kamerad, für Deinen Brief, Dank insgleichen für die Grüsse der liebenswürdigen Genossin.
Und vergiss mich nicht. Nämlich Du merkst, dass Freunde auf Frauen immer ein wenig eifersüchtig sind. — Und mit Recht! wirst Du sagen?
Adieu mein lieber Freund.
Dein Fritz Nietzsche