1874, Briefe 339–411
390. An Carl von Gersdorff in Gnadenberg
<Basel, 24. September 1874>
Es war eine schwere Zeit, mein lieber Freund, dieser Schlusstheil unseres Sommerhalbjahres und ich athme tief auf, dass es nun vorüber ist. Ich musste nämlich, bei allen sonstigen Arbeiten, einen ziemlich langen Abschnitt meiner Nr. 3 noch ganz und gar umarbeiten, und die unvermeidliche Angegriffenheit und Seelenerschütterung, die ein solches Sinnen und Wühlen im Tiefsten mit sich bringt, warf mich oft beinahe um, und auch jetzt noch bin ich nicht völlig aus dem Kindbettfieber heraus. Doch ist bei alledem etwas Ordentliches zur Welt gebracht worden, und ich freue mich darauf, dass Du dich darüber freuen wirst. Der Druck, sehr beschleunigt und in Folge davon eine Last mehr, ist beinahe fertig, und wenn Du ankommst, wird wohl bereits ein Exemplar fix und fertig vorliegen. Es gab schwere Tage und überlästige Nächte — ach, und ich wünschte oft: wenn nur einmal etwas Heiteres und Gutes von aussen her käme, da man selber gar nichts Heiteres mehr aus sich heraus pumpen konnte! Und da weiss ich was ich eines Morgens, gerade mitten in der bedürftigsten Zeit, mich über Dein Geschenk gefreut habe, mein lieber getreuer Freund, der Du wahrhaftig eine Witterung davon gehabt haben musst, warum Du es Mitte September schicktest und nicht später. Es kam so zur rechten Zeit! und ich war auf das Glücklichste überrascht, und wenn Du später das fünfte Capitel lesen wirst, so erinnre Dich, dass ich während dem öfter aufstand, um das kunterbunte Kinkerlitzchen anzusehen und anzulachen. — Übrigens hat es Rohde und wer es sonst gesehen hat sehr gelobt.
Der arme Rohde war unser Genosse gerade während der gequältesten Zeit und wird schwerlich einen angenehmen Eindruck mit fortgenommen haben: denn auch Overbeck war in der gespannten Thätigkeit eines Menschen, der bis zu einem nahen Termine eine grosse Masse Manuscript druckfertig zu machen hatte; bis zum 5 October soll auch seine Schrift (der erste Band seiner Studien zur Kirchengeschichte) fertig sein, und fast jeden Tag kommt jetzt ein Correcturbogen. Rohde hat es schwer beklagt und gebüsst, dass aus unserer gemeinsamen Herbstzusammenkunft nichts geworden ist. Wir freuen uns nun sehr auf Deine Ankunft, geliebter Freund. Bringe uns Deinen Lebensmuth, Deine rührige Gesundheit und Energie mit; denn mitunter ist es hier, als ob wir verzagen müssten.
Mit dem Dr. Fuchs, den Du gesehen und gehört hast, giebt es jetzt eine starke Verstimmung, Du wirst hier hören, weshalb. Ich wundre mich ein wenig, dass er mir selbst nur ein Concertprogramm zuschickt. Was hat er denn auf Dich für einen persönlichen Eindruck gemacht? Aber, wie gesagt, davon mündlich.
Ich will jetzt Deinem Beispiele folgen und Walter Scott lesen; ich muss mich jetzt recht gründlich erholen, will noch eine Fusswanderung machen, ein Gewässerchen, meinem Magen zum Heile, trinken und versuchen guter Dinge zu sein. Auch Milch soll, gemäss Deinem Vorbilde, reichlich mir zugemolken werden.
Der treffliche Emerson, welchen ich mit in Bergün hatte, ist mir sammt meiner ganzen vollen Reisetasche gestohlen worden: das schöne Exemplar vom Ringe des Nibelungen (mit Wagners Widmung) war auch dabei. Moral: man soll seine Reisetasche auf Bahnhöfen nicht unbehütet liegen lassen, sonst ist gleich ein schändliches und tückisches Thier da, welches Reisetaschen auflauert.
Melde Du lieber Freund doch des Kürzesten, wann Du eintreffen willst.
Dich herzlich erwartend
Dein Fridericus.