1874, Briefe 339–411
371. An Erwin Rohde in Kiel
<Basel,> Sonntag 14 Juni 1874.
Liebster Freund, es macht mir und uns Sorge, gar nichts von Dir zu hören: glückt die Arbeit? Bist Du ein wenig aus der Höhle Adulam heraus? Hier geht es recht und geziemend zu, es wird viel vom Herbst und unsrer Zusammenkunft gesprochen, bald will ich einmal über eine Art Programm nachdenken; zur Unterhaltung für die Abende habe ich bereits etwas Sehr Schönes, von dem Du und Ihr Alle noch nichts wisst.
In der letzten Zeit war Dein Landsmann Brahms hier, und ich habe viel von ihm gehört, vor allem sein Triumphlied, das er selbst dirigirte. Es war mir eine der schwersten aesthetischen Gewissens-Proben, mich mit Brahms auseinanderzusetzen; ich habe jetzt ein Meinungchen über diesen Mann. Doch noch sehr schüchtern.
Eben habe ich an meine neue Freundin in Florenz geschrieben; ich nannte sie dir? die Marchesa Guerrieri-Gonzaga? Hast Du vielleicht von der Faustübersetzung von Guerrieri gelesen oder gehört? Hillebrand hat sie sehr gepriesen; sie ist vom Bruder des Gemahls.
Übrigens höre ich dass Hillebrand in der Augsburgerin sich über meine Historie auslassen will. So schreibt Frl. von Meysenbug.
Wir hoffen (ganz leise gesprochen) für den hier neugegründeten Lehrstuhl für vergleichende Sprachforschung Windisch zu bekommen. Kurios! Nicht wahr?
Dem alten Vischer geht es recht schlimm, und die Befürchtung der Ärzte ist sehr gross; man glaubt kaum ihn noch durch dies Jahr zu bringen. — Unser alter Hagenbach ist gestorben.
Lebwohl lieber Getreuer.
Und willst Du nicht ein Wörtchen schreiben, nur damit wir wissen ob Du heiter und tapfer bist.
Wollen wir einmal in die Lotterie setzen?
Dein F N.