1874, Briefe 339–411
354. An Franziska und Elisabeth Nietzsche in Naumburg
<Basel, 26. März 1874>
Meine liebe Mutter und liebe Schwester,
nun ist es also nichts mit unserer gemeinsam erhofften Osterfreude; eure letzten Briefe, die sich mit meinem Absagezettel gekreuzt haben, zeigten mir noch einmal recht deutlich, was ich damit verloren habe. Zwar ist mein Gesundheitszustand jetzt glücklicherweise nicht derart, dass ich eine Kur machen müsste, es geht, bei grosser Vorsicht und Regelmässigkeit, recht gut. Aber Ihr wisst, wie ich einer freundlichen und herzlichen Zerstreuung und Ableitung von meinen gewöhnlichen Gedanken bedürftig bin, wie ich dafür, und besonders für etwas Heiterkeit um mich herum, dankbar bin. Ich leide wirklich zu viel, und kann wirklich froh sein, wenn ich körperlich krank bin; denn dann kann ich einmal mir einbilden, es wäre mir zu helfen; was ich jetzt, wo ich nicht einmal die Krankheit als Vorwand habe, freilich für unmöglich halte. Aber es hilft nichts, man läuft seinen Lebensweg weiter, ich entlade mich durch gedruckte Verwünschungen und will jetzt wieder an die Nr. 3 meiner Unzeitgemässen gehen. — Am Ende versteht Ihr mich nicht? Also wie gesagt, es geht mir sehr gut, und ich habe seit Jahren keine so anhaltende Gesundheit gehabt, fast drei Monate schon.
Seit vorigem Sonntag habe ich schöne frische Blumen im Zimmer, und denkt! vom mittelländischen Meere. Die hat die gute Meysenbug geschickt. Einen ganz grossen Amethyst, fast wie meine Hand, habe ich geschenkt bekommen, von Baumgartner; nächsten Sonntag bin ich in Lörrach zu Tisch bei seinen Eltern, die wie man mir erzählt, den Deutschen sehr feind sein sollen (es ist eine Mühlhäuser Familie). Gestern Abend haben wir ein Abschiedsessen für College Eucken gehabt; ich freue mich auf Heinze’s Ankunft, denn ob ich schon nichts Förderliches in meinem Sinne von ihm erwarte, so weiss ich doch dass er ein guter tüchtiger und rücksichtsvoller Mensch ist. Wann kommt er denn? Wir haben hier himmlisches Frühjahrswetter; darf ich heute darum bitten, dass unsre Lisbeth sich recht bald entschliessen möge, zu mir zu kommen? Das ist vielleicht noch die einzige Manier, mir ein wenig Ferienerholung zu verschaffen.
Hier ist nichts passirt, was mitzutheilen wäre, ausser dass Frau Sieber das Scharlach hat. Doch geht es wieder besser. Herrliche Briefe an mich sind eingetroffen.
Wenn mir nur das Schreiben leichter würde.
Seid nicht böse dass ich schon schliesse
Herzliche Grüsse und Dank.
Euer Fritz.