1874, Briefe 339–411
361. An Carl von Gersdorff in Gnadenberg
8 Mai 1874 Basel.
Lieber treuer Freund, ich schrieb lange nicht und es kommt mir so vor, als ob Du Dich vielleicht darüber beunruhigen könntest. Dazu ist aber kein Anlass, es ist mir gut gegangen und jede Depression, Melancholia ferne und tief unter mir. Ich muss durch meinen letzten Brief einen falschen Eindruck hervorgebracht haben: weisst Du, ich wiederhole es, es war nicht die Sprache der Depression, höchstens einer gewissen noch nicht wunsch- und wahnlosen Resignation. Inzwischen habe ich meine dritte Unzeitgemässe so weit fertig, dass wenn Du da wärest, der Guss beginnen könnte; das Sommersemester nimmt mich aber jetzt in Anspruch und deshalb lege ich, da mich nichts drängt, diese Papiere etwas zurück. Titel: (aber zu verschweigen!) „Schopenhauer unter den Deutschen.“ Es wird schön, sage ich Dir. Zweitens habe ich fertig und bin „ganz erschröcklich zufrieden“ damit — den Hymnus an die Freundschaft, für 4 Hände und ebenso viele Freundesherzen. Ich habe noch nichts Besseres gemacht, es klingt aber auch „nich e Bischen“ deprimirt! Sondern vielmehro im Gegentheil!
Endlich wollte ich Dich fragen: hast Du eine Ahnung, an wen bei der Adresse zu denken ist:
E. Guerrieri-Gonzaga
Via del Pallone 1
Firenze
Ich bekam aus Florenz einen bedeutenden und warm empfindenden Brief und bin gebeten unter der angegebnen Adresse zu antworten. Frauenhand.
Der Druck der Geburt der Trag. ist fast vollendet.
Dr. Fuchs hat mehrfach und, ich kann nicht anders sagen als rührend, geschrieben; ich bin wieder geneigt, ihm zu helfen und zu nützen, so gut ich nur kann; auch hört er wirklich auf das, was ich ihm schreibe und vertraut mir in einer ganz und gar unbedingten Weise. Wir wollen ihn also, christlich zu reden „in unser Gebet aufnehmen.“
Freund Krug und Pinder machen in diesem Herbste Hochzeit.
Collega Heinze ist hier eingetroffen und gefällt mir sehr: ein guter und tüchtiger Mensch.
Meine Schwester ist bei mir zu Besuch, und Tag für Tag schmieden wir die schönsten Pläne idyllisch-arbeitsamen und einfachen Zukunfts-Lebens.
Nun lebe wohl, Getreuester! Und bleibe uns allen durch That und Gesinnung unser „absolutes Ideal“ wie Dich Wagner kürzlich in einem Briefe bezeichnete.
Dein
Friedrich N.
Kann man gelegentlich ein Stückchen Deiner Übersetzungen zu sehen bekommen? —
Romundt und Overbeck gedenken treulichst Deiner und freuen sich auf den Herbst.
Romeo und Julia von Hartmann folgt — ich kann Dir’s nicht ersparen — ein wahres Höllengelächter höre ich aus Deinem Munde bereits erschallen; später nachdem man gelacht hat, hat man aber allen Grund, sehr ernst zu werden —