1874, Briefe 339–411
405. An Franziska und Elisabeth Nietzsche in Naumburg
Basel 3 Dez 1874.
Meine liebe Mutter und Schwester
es geht so arbeitsam hier zu, dass eine Woche läuft und wieder eine Woche, und plötzlich merke ich, wie lange ich Euch nicht geschrieben habe. Also wirklich, es ist seit lange der schwerste Winter, was die Noth der täglichen Arbeit betrifft, und es wäre nicht auszuhalten, wäre es nicht sonst der beste, den ich seit Jahren verlebe; denn meine Gesundheit ist im guten Stande.
Weihnachten werde ich doch wohl nach Naumburg kommen. Es soll vergnügt zugehen. Hier lebe ich wie eine Ratte unter Büchern. Es passirt wenig, wofür ich dem Himmel dankbar bin; denn unter dem Vielen ist das Meiste nicht viel werth.
Vorgestern habe ich mit Heinze getanzt, bei Immermans, er, Miaskowski’s und wir.
Ausser Briefen wüsste ich gar nichts zu berichten. Ich sehe keinen Menschen und werde auch nicht eingeladen. Das heisst, doch, nächsten Sonntag zum alten Gerlach.
Auch Briefe bekomme ich nicht, man lässt mich schön in Ruhe. Frl. v Meysenbug freilich hat geschrieben, aus Rom, auch Baumgartner aus Bonn. In Lörrach war ich zweimal diesen Winter, es ist eine gute und wohlsorgende Frau und mir sehr dankbar, diese Frau Baumgartner, und jetzt übersetzt sie meine dritte Unzeitgemässe in’s Französische, ich glaube, es wird was sehr Gutes, denn sie weiss mehr vom Stil als ich.
Ich habe für 50 Jahre schöne Arbeiten vor mir — und nun muss ich so pferdemässig im Joche ziehn und kann kaum rechts noch links sehn. Ach!
(Seufzer!)
Der Winter ist im Ganzen kräftig gekommen, doch giebt es seit gestern schweinischen Koth.
Weihnachten wird es muthmaasslich kalt.
Ist es Euch recht, dass ich komme? — Ich freue mich so darauf, einmal unter Euch zu sein und diese verfluchte Universitätswirthschaft für 10 Tage hinter mir zu haben. Schenkt mir doch zu Weihnachten ein kleines Landhaus, wo ich den Rest meines Lebens ruhig sitzen kann und schöne Bücher schreiben — ach! (Seufzer!)
Mit herzlichem Grusse
Euer Fritz.