1874, Briefe 339–411
341. An Carl von Gersdorff in Ostrichen
Basel 18/1 74
Nun, alter lieber Freund, es geht im neuen Jahre recht ordentlich mit mir und Du kannst ohne alle Sorge an mich denken. Ich habe meine Lebensweise verändert und gehe nicht mehr in den Kopf, frühstücke vielmehr ½12 Uhr mit Suppe und esse eigentlich nur ausnahmsweise zu Mittag. Jedenfalls bekommt diese vereinfachte Esseinrichtung meinem Magen. Sodann habe ich bis Ostern vor, nichts Neues zu schreiben und dadurch mein Nervenunwesen auszuheilen. Also die Philosophen liegen wieder brach; aber Ostern geht die Thätigkeit wieder los und zwar ist es mein Wunsch, einen Schlag gegen den Einjährigen-Freiwilligen zu führen. Ich glaube, das ist das Schlimmste, was man den Bildungsphilistern augenblicklich anthun kann. Dazu befasst sich der Reichstag mit den Militärgesetzen; meine Vorschläge haben eine gewisse Art von politischer Möglichkeit und es wäre ganz gut, den Leuten zu demonstriren, dass wir nicht ewig in der Höhe und Ferne, unter Wolken und Sternen leben. Aber nun heran mit militärischer Litteratur, vornehmlich Geschichte des Heerwesens. Kannst Du mir irgendwie dabei helfen, getreuer Helfer und Freund?
Der Druck der Nr. 2 rückt von der Stelle. Zwei Bogen sind corrigirt und abgeschickt, heute oder morgen trifft der dritte ein, so dass bis Ende Januar ungefähr alles in Ordnung sein kann. Das letzte Capitel habe ich natürlich in Naumburg geschrieben und am Neujahrstag, zu dessen Inauguration, fertig gemacht. Mit wahrer Rührung empfieng ich Deine Abschrift und die sie begleitenden Zeilen und pries mich glücklich Dich als Freund zu haben. Denke nur ja daran, wie wir es im Herbst zu einer Zusammenkunft bringen können; und damit Du siehst, dass auch andre Leute diese Zusammenkunft wünschen, sende ich Dir etwas von Candrian. Rohde will auch kommen; man hat ihn übrigens in Kiel wieder einmal mit einer ordentl. Professur übergangen, es ist ein Skandal! Gegen Romundt hat sich denn auch hier die Furcht vor Schopenhauer geltend gemacht und es ist ganz unmöglich, dass er jetzt (ja wie ich glaube dass er jemals) hier die ordentl. Professur für Philosophie erhält. Wir wollen froh sein, wenn man ihn mit einer ausserord. Professur und vielleicht etwas Geld abfindet.
Mit Ritschl’s hatte ich in Leipzig einen Wortkampf, der nichts Peinliches, aber etwas Schmerzliches und Hoffnungsloses hatte. Bei Fritzsch dem Trefflichen und Neubewährten habe ich eine Nacht gewohnt und den Eindruck mitgenommen, dass noch alles auf vier Beinen steht. Das weibliche Gespenst hatte unsre Phantasie verdorben. Es wird doch noch eine Preisarbeit, nach gelungener Umarbeitung, gekrönt, die des Prof. Dr. Koch. Die evangelische Kirchenzeitung soll meine Straussiade gepriesen haben. Übrigens gehe ich seit dem neuen Jahre nicht mehr auf die Lesegesellschaft und fühle mich befreit, nicht mehr das Zeitungsgeschwister zu hören. Mit Ranke’s erstem Buch sind wir fast fertig. Von Deinen Übersetzungen hoffe ich später einmal etwas zu profitiren, nicht wahr das ist erlaubt zu hoffen? Dem alten Vischer geht es noch nicht gut. Frau Vischer-Heusler hat den Typhus, die Arme! An Bayreuth wage ich gar nicht mehr zu denken, denn sonst ist es mit aller Nervenerholung zu Ende.
Nun wir wollen tapfer bleiben.
Lebe wohl für heute, liebster Freund und verzeihe, wenn ich Dir keinen Brief, sondern nur ein Notizenbündel schicke. Overbeck und Romundt denken Deiner wie ich selbst, mit Treue und mit der Sehnsucht getrennt lebender Freunde. Muss es sein? Muss es sein? Nicht selten kommt mir das schmeichelnde Bild, dass ich, einige Jahre älter, mich einmal zu Dir, in Dein Asyl, flüchte und dass wir mit einander die Felder betrachten und die Sonne untergehen sehen.
Lebewohl!
F N.
Die zurückgelassenen Sachen folgen bald. Hug war nicht im Stande den Tannhäuser anzunehmen, besonders wegen des französischen Textes. Es macht mir übrigens rechtes Vergnügen, Dir mein Exemplar anzubieten; so dass ich Dich jetzt im Besitz von allen Wagneriana weiss; oder fehlt die herrliche Faustouvertüre?
Nun bist Du also auch wieder Onkel geworden. Bei Deiner Erzählung dachte ich mir verschiedenes Unsägliches.
Deinen verehrten Eltern meine besten Grüsse.