1874, Briefe 339–411
400. An Emma Guerrieri-Gonzaga in Florenz
Basel Ende October 1874.
Verehrte Freundin,
Sie wissen vielleicht nicht, dass ich einen Versuch gemacht habe, Sie in Stachelberg zu begrüssen und dass er misslungen ist. Ich kam, ungefähr in den ersten Tagen des August nach Glarus, telegraphirte an den Besitzer des Hôtels in Stachelberg, um zu erfahren, dass Sie dort angekommen seien, bestellte mir sofortige Rückantwort, und wartete, wartete — bis zum Abend, umsonst! — so dass ich endlich betrübt und enttäuscht von dannen fuhr. Hinterdrein ist mir eingefallen, es könnte vielleicht eine Störung der Telegraphenleitung dabei im Spiele gewesen sein, denn es gab gerade gewaltiges Hochwasser und starke Gewitter. Damals aber nahm ich an, Sie seien wohl in Italien zurückgehalten worden und ich sei zu früh gekommen; ich betrübte mich bei der Vorstellung dass die Krankheit Ihres Kindes vielleicht Ihre Reise verzögert habe. — Von Glarus fuhr ich direkt nach Bayreuth, wo ich das Ende meiner Sommerferien verlebte.
Nun schreibe ich Ihnen heute, um Ihnen meine neueste Schrift ans Herz zu legen, denn ich wünsche recht sehr, Sie möchten sie recht persönlich nehmen, als ob ich Ihnen das Alles, was darin steht, vorerzählte.
Sodann will ich nur verrathen, dass ich eine neue Möglichkeit ins Auge fasse, Ihnen einen Besuch zu machen. Ich habe meiner hochgeschätzten Freundin Fräulein von Meysenbug einen Besuch für die nächste Osterzeit beinahe versprochen.
Leben Sie wohl, verehrte Frau und empfangen Sie die ergebensten Grüsse und Wünsche
Ihres Dieners
Friedrich Nietzsche
der ganz neuerdings 30 Jahre alt geworden ist.