1869, Briefe 1–633
631. An Wilhelmine Oehler in Halle
Naumburg am 11ten April. <1869>
Meine liebe Großmutter,
ich mache mir das Vergnügen Dir anbei mein Doktordiplom zu übersenden. Es Dir persönlich zu überbringen ist mir leider bei der Beschränktheit meiner Zeit und der Fluth eindringender Geschäfte unmöglich gewesen: und morgen bereits geht es fort in eine neue Welt, in einen schwierigen und anstrengenden Beruf, unter fremde und ungewohnte Menschen und Verhältnisse. Daß mich dahin Deine Wünsche begleiten und daß Du Dich recht von Herzen über die rasche und glückliche Beförderung Deines Enkels gefreut hast, weiß ich und nicht nur aus den Worten Deines letzten an mich gerichteten Briefes, für den ich Dir meinen besten Dank sage: bürgt mir doch eine längere Erfahrung dafür, daß Du warm und aufrichtig an meinem Wohl und Wehe theilnimmst. Hoffentlich höre ich in meinem neuen und entfernten Aufenthaltsorte immer nur das Beste von Deinem Befinden; mögen Deinem ehrenvollen Alter traurige Erfahrungen erspart bleiben, mögen alle Deine Angehörigen durch gegenseitige Liebe, Verträglichkeit und Anhänglichkeit Dir den Zoll von Pietät und Verehrung entrichten, den Du in so hohem Grade durch mühevolle und rastlose Thätigkeit für das Wohl Deiner Familie verdient hast. Mit diesem Wunsche bin ich jetzt wie ehedem
Dein getreuer
und dankbarer Enkel
Dr Nietzsche
Professor in Basel.