1869, Briefe 1–633
12. An Franziska Nietzsche in Naumburg
<Basel, erste Julihälfte 1869>
Liebe Mutter,
schon hatte ich gefürchtet, daß mein Brief der ungenügenden oder falschen Adresse wegen nicht an Dich gelangt sei und hatte Lisbeth mein Bedenken mitgetheilt und mir die richtige Adresse ausgebeten: als der große Riesenbrief erschien, den man gar nicht in einem Niedersitzen verdauen konnte. Nachdem ich Dir meinen besten Dank dafür ausgesprochen habe, muß ich auf einige Punkte desselben antworten. Zuerst was die Schweizerreise anbetrifft: so liegen meine Ferien schlecht genug. Die Sommerferien nämlich fangen in allernächster Zeit an, während also Lisbeth noch in Leipzig ist. Diese muß ich zunächst etwas zu meiner Erholung und Aufweckung der Lebensgeister verwenden: denn die Schulmeisterei und das tägliche Lesen greift doch gewaltig an, und ich habe wirklich ein mächtiges Ferienbedürfniß. Dann aber muß ich wieder tüchtig an die Arbeit, da eine Menge zu erledigen ist, zu dem sich im täglichen Verlauf der akademischen Thätigkeit keine Zeit findet. Im Herbst nun habe ich kaum 14 Tage völlige Ferien (also etwa in der ersten Hälfte des Oktober), dafür doch eine längere Zeit weniger zu thun, nämlich nur am Pädagogium, nicht an der Universität, die während des ganzen Oktober pausirt. Schließlich wäre also der Oktober doch ganz geeignet zu einer längeren Zusammenkunft, vielleicht auch zu einem gemeinsamen Aufenthalte in Montreux am Genfersee, der um die Wein- und Traubenzeit am besten zu besuchen ist. Die übrige Zeit würdet Ihr dann freilich mit in Basel verleben müssen, das übrigens auch erträglich ist.
Dies die Ferienangelegenheit. Daß Lisbeth sich in Leipzig wohl fühlt und gewissermaßen noch dazu in meinen Fußtapfen, macht mir viel Vergnügen. Und solch ein Aufenthalt war ihr gewiß sehr zu wünschen, denn die Naumburger Athmosphaere ist auf die Dauer nicht gesund. Wenn sie Lust hat, kann sie später, falls nicht unvorhergesehne Zwischenfälle eintreten, immer bei mir einen Theil ihrer Zeit verbringen: aber freilich ist es in Leipzig interessanter als in Basel.
Von Rohde habe ich zwei Briefe, aus Rom, desgleichen von Gersdorff: grüße doch Wenkel bestens und sage ihm, ich würde nächstens schreiben, um ihm einiges mitzutheilen. An Wilhelm habe ich einen Geburtstagsbrief geschrieben, auch Deussen und Romundt haben endlich Antwort. Aber die Zeit ist spärlich für solche Dinge.
Ich theile Dir nächstens mit, wohin Briefe für die Zeit vom 15ten Juli an zu adressieren sind: wahrscheinlich nach Interlaken. Auch Wagner erwartet noch einen Besuch.
Und somit Lebewohl und
freundlichsten Gruß
von Deinem Sohn.
NB.
Benutze zum Frankieren keine Eingroschenmarke: weil hier ungenügend frankierte Briefe den unfrankirten gleich gerechnet werden.