1869, Briefe 1–633
626. An Wilhelm Vischer (-Bilfinger) in Basel
Leipzig 7 März. 1869.
Hochverehrter Herr Professor,
daß ich Sie von dem Empfange der Urkunden so spät benachrichtige, bedarf gewiß der Entschuldigung. Es war meine Absicht, Ihnen zugleich mit dieser Benachrichtigung mein Leipziger Doktordiplom zukommen zu lassen, aber ich hatte mich über die Zeit geirrt, in der dieses ausgefertigt sein könnte. Inzwischen habe ich mir erlaubt den zweiten Theil meiner Laertiana an Sie zu addressieren; da diese aber in der ersten Hälfte des Jahres 1867 geschrieben und in der zweiten der Redaktion des Rhein. Mus. übergeben wurden, so ist es nicht verwunderlich, wenn ich mich in manchen Punkten jetzt zu fortgeschrittneren Ansichten bekenne: nur, daß alle Hauptsachen bis jetzt für mein Urtheil Stand gehalten haben. —
Es ist mein Wunsch, mich in Basel etwas eingerichtet und eingelebt zu haben, bevor die tägliche Berufsarbeit beginnt, und deshalb halte ich es für sehr rathsam, in der Mitte des April dort einzutreffen. Ich habe Prof. Kiessling brieflich gebeten, mir über bestimmte Angelegenheiten der häuslichen Einrichtung usw. gefällige Mittheilung zu machen: und ich weiß Ihnen gewiß wärmsten Dank dafür, daß sich Ihre ausgezeichnete Theilnahme für mich selbst bis auf diese Dinge erstreckt.
Einen andern Punkt, den Sie berühren, habe ich mir lange überlegt. Schließlich werde ich doch meine preußische Heimatsberechtigung aufgeben müssen. Denn gesetzt auch, daß ich bei Einberufungen zum Waffendienst im Frieden jederzeit mit Erfolg reklamieren kann, so ist doch gegen die fatale Möglichkeit eines Krieges kein Kraut gewachsen; ich würde unwiderruflich als reitender Artillerist eingezogen werden. Unter diesen Verhältnissen halte ich es der Baseler Universität gegenüber für meine Pflicht, meine Thätigkeit an derselben nicht von Krieg und Frieden abhängig zu machen.
Ich verharre mit dem Ausdruck
hochachtungsvoller Ergebenheit
Friedr. Nietzsche
Pr. e. o.