1869, Briefe 1–633
42. An Elisabeth Nietzsche in Naumburg
<Basel, 23. November 1869>
à ma soeur:
Wie steht’s mit der Indification? Ist Herr X (Gott wie heißt das Wesen?) parat und scheint er Dir sorgsam und zuverlässig gewesen zu sein? Es wird bereits emsig gedruckt. Also periculum in mora! Auf Deutsch: das Feuer brennt uns auf die Nägel. Denn wenn Du und er (elle et lui wie im Roman) auch alles gut und fertig habt, so wollen immer noch 3 Bände hineingearbeitet sein, und ich armes Wintercollegienwurm bin mit allem Möglichen geplagt und soll nun auch noch das aus den Ärmeln schütteln.
Wenn ich das zu Stande kriege und dazu geschwind, so ist meine Geschwindigkeit doch Hexerei. Nicht wahr?
— Unterbrechung. Ich mußte fortlaufen, um meine 8 philologischen Raben im Seminar zu füttern; was denn auch geschehen ist.
In diesen Tagen ist ja auch wohl Demoiselle Brockhaus bei Euch gewesen; siehst Du, wie gut ich über Euren Lebenswandel unterrichtet bin.
Große Freude hat mir gemacht, daß der gute Romundt jetzt Aussicht zu einer vortrefflichen Erzieherstelle hat: ein Sohn, 400 Thaler, freie und glänzende Station, alle Jahre große Reisen und, bei längerem Verhältniß lebenslängliche Pension. Auf dies mein Anerbieten hat er mir aber noch nicht geantwortet; und bei seiner Wunderlichkeit kann man sich auf alles gefaßt machen. Rohde ist in Rom und schreibt die allerschönsten Briefe: auch Deussen und Röscher (Gymnasiallehrer in Bautzen) haben recht hübsch geschrieben, so daß nach allen Seiten hin wieder Briefschulden gemacht sind, die ich jetzt nicht wegschaffen kann. Gersdorff, Wieseke Hofmann sind alle noch ungebrieft (in Naumburger Dialekt „ungeprüft“) Was Wunder, wenn die reinen Liebesbriefe — nämlich der an die gute Grimmenstein — mir wie mit Keulenschlägen abverlangt werden! Was soll da aus all den Pflichtbriefen werden!
(Letztere Bemerkungen à ma mère, mezza voce)

Natürlich möchte ich bald von Dir einiges hören zB. wonach Euer weihnachtliches Herz Verlangen hat. — Was macht der alte Schopenhauer? Immer noch das finster-gute Gesicht? Kneife nur Schulz recht in sein „Künschtler“-bewußtsein — aber nicht zu arg, sonst macht er uns den Schopenhauer zum Mohren: wie er überhaupt ideale Menschen (zB. Blass) recht schmutzig darzustellen pflegt.
Habt Ihr in Euren Stuben hübsch warm? Und schöne Teppiche? Und rechte Ordnung? Und frühmorgens Kakao? Und schöne Äpfel? — Seht Ihr! Das habe ich alles. Hier das Bild des Teppichs (eine Pferdedecke. Die + bezeichnen die großen, die ⊙ die kleineren Löcher.
Adieu.