1869, Briefe 1–633
30. An Friedrich Ritschl in Leipzig
Basel am Tage des Collegienschlusses25 Sept. 69.
Hochverehrter Herr Geheimrath,
dieser Brief hat nur den Zweck, Ihnen etwas über seinen Überbringer, den Herrn Griesemann, zu erzählen, der mit den besten Absichten, guten Fähigkeiten und der stärksten Ergebenheit für Sie, geliebtester Meister, nach Leipzig von Basel aus übersiedelt.
Er war mir aus zwei Gründen besonders schätzenswerth, erstens weil er als ein durchlebterer Mensch urtheilen und Auskunft geben konnte, in Fällen wo meine Baseler gemäß ihrer einheimischen Scheuheit vor allem Fremden und Ausländischen den Mund nicht aufthaten: so daß ich immer gern und mit Nutzen mit Herrn Griesemann conversirt habe. Sodann hat er als Philolog das ersichtliche Bestreben, ein strenger und unnachgiebiger Denker, vornehmlich Logiker zu sein: auch diese Eigenschaft machte mir ihn werth, da meine anderen Zuhörer und Seminarmitglieder meistens rettungslos in dem Brei vager Möglichkeiten herumschwammen.
Wenn ich noch hinzufüge, daß Hr. G. sich vornehmlich mit plautinischen Studien befaßt hat und daß er den Wunsch hegt in näherer Weise Ihrer Leitung und Ihres Unterrichtes theilhaftig zu werden, so glaube ich alles gesagt zu haben, um Ihnen den jungen mir vielleicht gleichalterigen Menschen, der jetzt vor Ihnen steht, zur Berücksichtigung zu empfehlen.
In der herzlichsten
Ergebenheit und
Treue
Ihr Schüler
Nietzsche.