1869, Briefe 1–633
17. An Elisabeth Nietzsche in Leipzig
Interlaken 27 Juli. <1869>
Liebe Lisbeth,
mit großem Vergnügen habe ich Deinen ausführlichen Brief gelesen, mit dessen Urtheilen ich allermeistens übereinstimme, nur daß ich alles und jedes Lob und Dankeswort ablehnen muß, das Du mir spendest als dem angeblichen Geber Deiner Leipziger Freuden. Bei dieser Rechnung vergißt Du wie es scheint einen Faktor in Rechnung zu ziehn, den die Leipziger dagegen recht sehr zu schätzen wissen: Dich selbst.
Schade daß diese Deine Leipziger Studien- und Erholungszeit ein so baldiges Ende nimmt, immerhin doch schon zu spät, um die projektirte Schweizerreise ausführen zu können, da meine Ferien mit dem 15t. August zu Ende sind. Also müssen wir schon an die Herbsttage denken, etwa an die letzte Woche des September und die erste des Oktober, eine Zeit übrigens, die für den Anblick der Schweizerseen die geeignetste sein soll.
Übrigens ist eins nicht zu verschweigen, daß nämlich das Reisen in den besuchtesten dh. sehenswerthesten Theilen der Schweiz erstaunlich kostspielig ist: wie ich jetzt bei einem kleinen Aufenthalte in Interlaken hinreichend merke. Nach einer Überschlagsrechnung brauchen drei Personen etwa an jedem Tage 8-9 Thaler; billiger ist es natürlich, wenn man längere Zeit an einem Orte im Pensionsverhältniß bleibt, (dann täglich 6-8 fr.s:) für 3 Pers. c. 24 fr. Man muß eben in Betracht ziehn, daß die Preise in den Hotels der schönsten Gegenden, die meistens auch abgelegene sind, eben dieser Abgelegenheit halber, bei der Schwierigkeit des Transportes sehr hoch sind. Also beispielsweise in Grindelwald: das Zimmer für eine Person auf eine Nacht 2½ francs, Frühstück 1½, Mittag ohne Wein 4 fr. Abendessen 3 fr. Bedienung 1 fr. etc. Wenn es selbst kleine Häuser giebt — an den schönsten Punkten steht gewöhnlich nur ein großes Hotel — so kann man mit Damen natürlich diese nicht aufsuchen. Dazu rechne die nicht unbedeutenden Reisekosten für hin und zurück zweiter Klasse; mache Dir doch einmal mit Hülfe eines Coursbuchs einige Zusammenstellungen. Ein direktes Billet von Leipzig bis Luzern zB. kostet 73 fr. 30 ct. (2 te Klasse.)
Schreibe mir doch auch einmal gefälligst, wie viel ich in diesem Jahre noch an Zinsen von meinem Vermögen erheben kann. Unsre Baseler Gehaltsverhältnisse haben nämlich zweierlei Unangenehmes. Man zahlt nämlich nur zweimal, am 1 Juli und am 1 Januar, sodann postnumerando: so daß ich für das ganze Jahr vom April bis zum letzten Dezember nicht mehr als 200 Thaler habe, die nämlich, die ich am 1 Juli für die drei vorhergehenden Monate bekommen habe. Dabei ist in Basel alles sehr theuer zB. das Miethgeld pro Monat c. 50 fr., ebenso viel das Mittagessen.
Also gieb mir doch genau an, was ich noch bekommen kann in diesem Jahre und zu welchem Termine.
Dies ist nun ein rechter Geschäftsund Geldbrief geworden: aber warum hast Du die Verwaltung meiner Gelder an Dich genommen? — Gestern habe ich endlich an Frau Ritschl geschrieben: hast Du ihn selber noch nicht kennen gelernt? Das ist jedenfalls nöthig. Wenn Du mir schreibst, so addressiere nur nach Basel.
Mit
herzlichem Gruß
Dein treuer Bruder