1871, Briefe 118–182a
179. An Franziska und Elisabeth Nietzsche in Naumburg
Basel, Samstag. <23. Dezember 1871>
Meine liebe Mutter und Schwester,
von Herzen wünsche ich daß Ihr an meinen kleinen Weihnachtsgeschenken einige Freude haben mögt. Zur Erklärung derselben beginne ich mit dem, was Euch Beiden gemeinsam gewidmet ist: die Composition mit dem Titel „Nachklang einer Sylvesternacht“ müßt Ihr Euch recht bald einmal wirklich vortragen lassen; wozu ich Euch die bereitwillige Hülfe von Gustav Krug empfehle, dem ich deswegen noch einen Brief schreiben will. Sie wurde kurze Zeit nach meiner Rückkehr aus den letzten Ferien gemacht und ist für mich ein Zeichen, wie erwärmend und wohlthuend für mich diese Ferien gewesen sein müssen. Denn nach 6 Jahren Unterbrechung ist es der erste Versuch dieser Art, und wenn ich mich nicht täusche, ein wohlgelungener Versuch. Ich habe für Euch eine schöne Abschrift besorgen lassen und möchte gerne auch die Mühe, die deren Herstellung kostete, mit unter die Geschenke gerechnet wissen. Durchaus aber muß ich bald von Euch erfahren, wie Euch diese Musik gefallen hat. Ihr werdet schon einige Mitempfindung haben: denn diesmal ist meine Widmung nicht so unsinnig wie bei meinen früheren Compositionen, von denen der ungarische Reitermarsch dem Onkel Theobald und das Liebeslied der Tante Rosalie dargebracht wurden.
Dir nun, meine liebe Mutter, fallen die Gardinen anheim, deren Effekt uns beide erfreuen soll, wenn ich einmal nach Naumburg komme. Sodann wurde mir mitgetheilt, daß mit den geschnitzten Salatgeräthschaften Dir ein Gefallen geschehn werde. Nimm die Geschenke wohlwollend auf, darum bitte ich.
Dir, liebe Lisbeth, schenke ich die Kunstgeschichte von Lübke, aus der Du viel lernen kannst und gelernt haben wirst, wenn ich einmal etwas examinire. Es ist eine ganz neue Auflage: Du wirst mit dem Buche mehr zufrieden sein können als mit dem gewünschten Springerschen (wie kannst Du mir aber zumuthen, ein Buch aus einem skandaleusen jüdischen Antiquariat zu bestellen!!) Dann wird Dir unsre liebe Mutter in meinem Auftrage ein gutes Album übergeben haben. Auch der kleine Hebel wird Dir gefallen.
Soviel über meine Geschenke. Daß mein Buch über die Tragödie nicht dabei ist, hat seinen einfachen Grund darin, daß es noch nicht ganz fertig ist. Aber im neuen Jahre und vielleicht schon zu Neujahr wird es in Eure Hände kommen. Es ist beim Druck etwas gebummelt worden. Eigentlich sollte es mein Weihnachtsgeschenk für Richard Wagner sein, aber nun kommt es zu spät.
Ich feiere Weihnachten diesmal nicht in Tribschen, trotz den herzlichsten Einladungen, weil ich Zeit für mich brauche, um meine Vorträge, die im neuen Jahr beginnen, ausarbeiten zu können. (— die Vorträge über die Zukunft unserer Bildungsschulen —) Dazu habe ich mein Weihnachten bei Wagners schon antecipirt, dadurch daß ich die letzte Woche mit ihnen in Mannheim war und die unbeschreiblichen Genüsse eines Wagnerschen Conzertes in nächster Nähe mit erlebt habe. Wir hatten die erste Etage im „Europäischen Hof“, und es fiel von den vielen Ehren, die W. erwiesen wurden, auch auf mich als seinen nächsten Vertrauten noch ein Theil ab. Übrigens hat mich die ganze Reise verhältnißmäßig wenig gekostet, ob ich gleich von Montag bis Donnerstag fort war. Über meine dortigen künstlerischen Erfahrungen, den höchsten meines Lebens, die in gewissem Sinne die Erfüllung einer tiefen Ahnung waren, will ich brieflich nicht reden.
Nun lebt wohl, meine Lieben, und denkt in diesen Weihnachtstagen recht an mich.
Euer Fritz.
In alter Liebe.
NB. Der Geburtstag von Frau W. ist der 25te Dec. Es ist recht von Dir, liebe Lisbeth, wenn Du schreibst. Vergiß es nicht.