1871, Briefe 118–182a
170. An Erwin Rohde in Kiel
Basel Donnerstag. <23. November 1871>
Mein lieber Freund,
eben hatte ich mich etwas ermüdet auf das Sopha gelegt und die Hände über die Augen gelegt, als ich plötzlich an Dich denkend aufspringe, die Feder ergreife und somit wie Du siehst, an Dich schreibe. Mir fiel ein, daß Du lange von mir nichts gehört hast und vielleicht auch in speziellen Beziehungen wissen möchtest, wie es mir inzwischen, etwa rücksichtlich des Fritzsche-Nietzsche-Büchleins, ergangen ist. Hast Du denn irgend so etwas Passendes aus der Gemmen-region aufgespürt? Denn dann wäre es hohe Zeit, dem edlen Verleger Mittheilung zu machen. Oder wir schickten es dem Freunde Mosengel, der seiner Zeit mir erzählte, wie er zu den wenigen Malern gehöre, die auch „Radirer“ wären. Ich weiß nicht, ob die Technik des Radirens gerade die in diesem Falle rechte ist, wie stehts damit? —
Erst seit vorigem Sonntag habe ich Bescheid von dem guten Fritzsch. Obwohl die Sache inzwischen mich beunruhigt hatte — that ich doch nichts, weder für, noch gegen, sondern wartete still, was meine Dämonen beschlossen hätten. Endlich kommt die Aufklärung: Fritzsch hatte mein Manuscript an einen Mitarbeiter seines Blattes zu kritischer Beurtheilung abgesandt, und dieser Bummler hatte so lange gebummelt! Jetzt scheint nun alles in Ordnung zu sein. Ausstattung, wie in Wagners „Bestimmung der Oper“ ist garantirt und ich glaube daß noch nie ein Erstlingswerk so üppig eingehüllt, wie ein Prinzenkind, aus der Taufe gehoben worden ist.
Einen recht schönen Nachklang hatte ich noch von unserer Zusammenkunft, die mich innerlich und äußerlich, bei den mildwarmen Herbstsonnenwirkungen, so erquickt hatte, daß ich hinterdrein wieder einmal, nach 6 Jahren Pause, zum Componisten geworden bin. Eine längere vierhändige Composition, in der Dauer von 20 Minuten, ist in kurzer Zeit, gleich nach meiner Rückkehr nach Basel, fertig geworden, mit der ich recht zufrieden bin. Sie heißt, im Anschluß an eine Jugenderinnerung, so:
„Nachklang einer Sylvesternacht, mit Prozessionslied, Bauerntanz und Mitternachtsglocke.“
So etwas danke ich Euch, meine lieben Freunde und Du wirst es spüren, wenn Du dieselbe einmal hörst.
Die Dämonenweihe habe ich mit Burkhardt zusammen gefeiert: er hatte sich dem Opfer angeschlossen, und um 10 Uhr flössen zwei Gläser rothen dunkeln Weines in die Nacht hinab. — Am andern Tag hatte ich dämonischen Kater. —
Ich lese mit Vergnügen Plato und latein. Epigraphik. Da fällt mir wieder etwas ein. Sage, lieber Freund, hast Du vielleicht einmal daran gedacht, selbst auch etwas über mein Tragödienbüchlein öffentlich verlauten zu lassen? Ich fürchte immer, daß die Philologen es der Musik wegen, die Musiker der Philologie wegen, die Philosophen der Musik und Philologie wegen nicht lesen wollen und bekomme dann für meinen guten Fritzsch Angst und Mitleid. Vielleicht könntest Du die Philologen coram nehmen, etwa in einem Briefe an den Redakteur des rhein. Museums oder in einer Zuschrift an mich. Kurz, es fehlt mir die „höhere Reklame“. Du weißt, wie sehr die Philologen auf alles gestoßen werden müssen, was nicht bei Teubner und ohne den Zubehör kritischer Noten erscheint. Stoße sie! Ich bitte Dich.—
Ein sehr schöner Brief Wagners über die Bolognaaufführung steht in dem letzten Sonntagbeiblatt der norddeutschen Allgemeinen. Hast Du denn mit Wagner brieflich angeknüpft? Deine Abhandlung ist ernsthaft gelesen worden. Der zweite Akt der Götterdämmerung ist vor 3 Tagen fertig geworden.
Erfreue mich bald durch einen Brief, mein lieber, lieber Freund.
Treulich
ὁ μουσικός.
Das Geld habe ich bekommen, aber c. 2 frs. zu viel. Was soll ich damit anstiften? Oder war es auf meine Bereicherung abgesehn? —
Ich denke eben daran, daß Du ja das Centralblatt „beherrschest“: dann aber müssen wir möglicherweise auf einen ernstlichen Widerstand der Redaktion bedacht sein? Oder nicht? Jedenfalls nimm Dir dann etwas Raum. — Du bekommst eins der ersten Exemplare zugeschickt. Etwa um Neujahr herum.