1871, Briefe 118–182a
172. An Franziska und Elisabeth Nietzsche in Naumburg
Basel, Sonntag. 3 Dez. 71.
Meine liebe Mutter und Schwester,
Herzlichen Dank für den letztens erhaltenen Brief. Ich höre mit Vergnügen, daß es Euch in Naumburg wohlgefällt. Weihnachten werden wir aber nicht beisammen sein können, ich habe meine 6 Vorträge „über die Zukunft unserer Bildungsanstalten“ nach Neujahr zu halten und bis jetzt noch kaum an dieselben denken können, so sehr beschäftigen mich meine Collegien. (eins mit 10, das andre mit 7 Zuhörern) Dazu kommt daß ich jetzt daran denken muß, mein Büchlein über die Tragödie abzuschließen. Denn mit Fritzsch ist alles in Ordnung. Es wird gedrucht, und ich erwarte täglich Correkturbogen. Die Ausstattung wird sehr schön (gleich der von Wagners „Bestimmung der Oper“) Aber es giebt sehr viel zu denken, und viel Alleinsein ist nöthig. — Am 20 d. M. ist das große Conzert Wagner’s in Mannheim. Ich habe kaum irgendwelche Aussicht hinzukommen, weil wir hier in dem Collegienfleiß erstaunlich gewissenhaft sind, und ich mich auch am Pädagogium nicht vertreten lassen kann. So entgeht mir auch dies Concert, wie mir das Berliner entgangen ist — und was nicht sonst? Wenn ich aber nur mit Baireuth durchkomme!
Dem alten Vischer geht es wieder gut. Er ist bereits aufgestanden vom Bett, und ich bin öfters bei ihm. Frau Vischer hat mir von einem Brief nach Naumburg erzählt, den sie geschrieben habe. — Bei Heyne’s war neulich eine große Gesellschaft, vornehmlich zu Ehren der neuen Professoren und Frauen. Es wurde die Kindersymphonie aufgeführt und nachher getanzt — bis Mitternacht. Montags bin ich zu einer Gelzer’schen Gesellschaft eingeladen, der alte Geizer schrieb mir eigens, daß er bedauere Dich, liebe Lisbeth nicht mit einladen zu können. Zugleich mit Deinem letzten Brief lief eine Einladungskarte bei mir ein, zu einem großen Diner, welches Georg Fürstenberger veranstaltete, zu Ehren des neuen Brautpaars. Das haben wir denn Gestern mit Gott bestanden. Es war die ganze Erste Etage von Hôtel Euler und der große Speisesaal im Parterre zu unserer Disposition, und es war eine Üppigkeit, die mir wenigstens unbekannt in Basel war. Wir waren gegen 6o Eingeladne, aber nur Jugend, ohne Mütter und Väter (weder die alte Frau Vischer noch die alte Frau Sarasin war zugegen, wohl aber Frau Vischer-Sarasin und Vischer-Heusler.) Hauptsächlich aber die Freundinnen von <der> Braut und die Freunde vom Bräutigam. Man spürte an allem die hier vertretenen Millionen der Gäste, und für Euch wäre es gewiß sehr unterhaltend gewesen, die ganze vornehmste Baseler Aristocratie beisammen zu sehn. Wir waren von 1 Uhr bis 8 Uhr zusammen und haben schließlich noch ein paar Stunden getanzt. Ich war der einzige Deutsche der Gesellschaft. Man hat mir noch ein paar Bälle angekündigt. Ich übersende zu Eurem Spaß das Menü mit der Tischkarte und entschuldige mich, so viel von solchen Dingen erzählt zu haben. Übrigens war es „luschtig“.
Mit herzlichem Gruße
Euer Fritz.
Schreibt mir doch etwas über Eure Weihnachtswünsche.