1871, Briefe 118–182a
150. An Franziska Nietzsche in Altendammbach
<Basel,> 2 Sept. 71.
Hier, meine liebe Mutter, sind Nachrichten von mir, mit eigner Hand geschrieben, nachdem die bisherige Führerin meiner Correspondenz mit Dir mich verlassen hat. Auch weiß ich bereits aus einem eben empfangenen Brief Lisbeth’s, daß sie ohne Unfall Wiesbaden erreicht hat und dort alle Behaglichkeiten eines guten Hauses und einer zärtlichen Freundin zu genießen hat. Basel hat ihr wohl gefallen, ja, nach meinem Unheil, zu gut. Doch findet sie es bald an jedem Orte erträglich, vorausgesetzt, daß man ihr von Zeit zu Zeit etwas Angenehmes sagt. Das haben, scheint es, meine ehrlichen Baseler etwas reichlich gethan: weshalb sie ungern diese Stadt verließ.
Ich lese Deine Briefe sehr gern: Du erzählst einem doch etwas, und aus der Menge der kleinen Züge macht sich mir dann ein anschauliches Bild: während unsereins nichts Rechtes schreibt, sondern immer auf persönliches Wiedersehen vertröstet, dann aber gewöhnlich erst recht nichts zu erzählen hat. Dieses persönliche Wiedersehn scheint auch jetzt wieder uns recht nahe bevorzustehn: wenn anders etwas aus meinem Plane wird, am 1 Oktober in Naumburg zu dreiwöchentlichem Aufenthalte einzutreffen. Jedenfalls gebe ich Dir bald genauere und bestimmte Nachricht. Zugleich soll damit ein Zusammentreffen mit Rohde in Leipzig verbunden werden etc.
Lisbeth hat diese Combination mit großem Beifall begrüßt. Zuerst war davon die Rede, daß ich Weihnachten nach Naumburg käme. So sehr das wünschenswerth wäre, so unbequem ist die Winterreise: vor allem aber hätte ich nur eine Woche Zeit. Deshalb habe ich mich für den Herbst entschieden, den ich nun einmal besonders in Thüringer Luft gern habe. Ich freue mich auf das Saalthal und, die vielen Leipziger Erinnerungsstätten und möchte fast wähnen, ich lebte im Exile, weil ich diesen Gegenden so ferne bin. Mit meiner Gesundheit bin ich immer noch nicht zufrieden, und ich glaube mehr als je, daß mir die Baseler Luft nicht bekommt. Es dauert recht lange, ehe ich die unwillkürliche Abneigung gegen die ganze schweizerische Existenz überwinde: bis jetzt bin ich noch nicht einmal auf dem Gefrierpunkt der Gleichgültigkeit.
Von Gersdorff’s Besuch wird Dir wohl Lisbeth geschrieben haben. Er hat mir ebenso gut als Wagner’s gefallen, als ein echter und kräftiger Repräsentant aller tüchtigen Eigenschaften des norddeutschen Wesen’s. Romundt erwarte ich täglich zu sehen, da er auf seiner Reise nach Nizza, wo er den Winter verlebt, über Basel kommen muß. Deussen hat mich dringend gebeten ihn zu besuchen: und ich will dies ausführen, wahrscheinlich auf meiner Heimreise von Naumburg nach Basel. Er ist jetzt in Marburg an der Universität Dozent. Windisch ist aus England zurückgekehrt und in Leipzig zum professor extraord. gemacht worden. Rohde ist augenblicklich in einem Seebade in Holstein und hat sich verschworen, mit mir dieses Jahr zusammenzutreffen, nachdem verschiedne Versuche von mir, ihn dauernd in meine Nähe zu bringen mißlungen sind.
Es dürfte also sein, daß ich Dich durch meine Ankunft Deinem bisherigen schönen Aufenthalte „im Wald und auf der Haide“ entzöge: weshalb ich den lieben Onkel Theobald recht um Verzeihung bitten muß. Grüße ihn recht von mir: irgend wann werde ich ihn doch einmal wiedersehen, sammt seiner vortrefflichen Frau und den mir noch ganz unbekannten Kindern. Ich höre daß um diese Zeit sein Geburtstag ist: er lebe hoch!
Und Du auch!
Dein Fritz.