1871, Briefe 118–182a
178. An Carl von Gersdorff in Berlin
<Basel, 23. Dezember 1871>
Zunächst, mein lieber und werther Freund, denke ich an die Feier Deines Geburtstages und bin beglückt, wenn ich mir vergegenwärtige, wie dieses Jahr uns wieder im allerwünschbarsten Sinne zusammengeführt hat: so daß wir mehr als je wieder uns unserer Freundschaft freuen dürfen. Unsere besten Triebe, unsre eigentlich ernst gemeinten Absichten, unsre edelsten Hoffnungen — alles hat sich wieder in dem letzten Jahre zusammen verschlungen: nachdem Dein Lebensdämon Dich glücklich durch die schrecklichsten Gefahren hindurch gerettet hat. Und so werde ich heute ein Hoch auf Dein Wohl ausbringen, in dem Glauben, daß es auch zugleich dem Aufblühen unserer Friedenskultur gelte. Von jetzt an haben wir alle ernsten Kämpfe gemeinsam: also Hoch unsre Kriegskameradschaft im Frieden!
Leider bin ich noch nicht im Stande, Dir heute ein Exemplar meines Buches dediciren zu können. Aber empfange dafür heute das Versprechen, daß Du und die Tribschener die Ersten sein werden, die die Schrift zugeschickt bekommen. Fritzsch hat in letzter Zeit viel langsamer das Werk gefördert und doch bin ich damit recht zufrieden, seitdem ich durch Dich erfahren habe, welcher abscheulichen Gefahr meine Schrift im Falle einer Überstürzung ausgesetzt gewesen wäre. In der That danke ich Dir sehr für Deinen treuen Beistand in der Vignettenangelegenheit: Fritzsch hat weniger Schuld, weil er so etwas nicht verstehen wird und viele Stücke von seinem übrigens trefflichen „musikal. Wochenblatt“ und somit auch von dem Holzschneider desselben hält. Es wäre nichtswürdig gewesen, die schöne Leistung von unserem Rau so schmählich entstellt auf dem Titel wiederzufinden: und daß eine solche Stümperei auch meiner Schrift und des von mir gedachten Leserkreises nicht würdig sei, hast Du mit großem Rechte Fritzsch auseinandergesetzt; und ich danke Dir besonders dafür, weil mein Verleger auf diese Weise doch einmal aufmerksam gemacht worden ist, daß er es mit dieser Schrift so ernst wie möglich zu nehmen hat.
Der Druck ist übrigens viel compresser als in der „Bestimmung der Oper“ und damit ist auch meine Schrift weniger umfänglich geworden. Sie wird 140 Seiten haben. Acht Bogen sind fertig corrigirt.
Dein Gedanke von einer weihevollen Taufhandlung hat mir sehr gefallen, und ich werde im Stillen einmal über einen modus nachdenken. Um Dir übrigens einige Namen zu nennen, denen ich die Schrift zuschicke und die ich nöthigenfalls um Übernahme der Pathenstelle bei meinem Erstgebornen bitten könnte, so nenne ich noch Jacob Burkhardt, Rohde (der für das litterarische Centralblatt von Zarnke eine Anzeige vorbereitet) Gustav Krug Romundt Frau von Muchanoff, Liszt, Bülow, Makart: auch Frau von Schleinitz wird ein Exemplar bekommen. Auch die Großfürstin Constantin. Kennst Du vielleicht den baierischen Hauptmann M. von Baligand, dienstthuenden Kammerherrn des Königs? Er ist einer der thätigsten und begeisterten Mitglieder des Münchener Wagnervereins und hat bedeutende Beziehungen in England, wo er im nächsten Sommer bei seinem Freunde Lord Ellerton einen engl. Wagnerverein gründen will. Mit ihm bin ich neulich Nachts von Mannheim zurück gefahren.
Denn ich war in Mannheim. Und ich kann Dir sagen: unsre größten Ahnungen über das Wesen der Musik bestätigen sich in überschwänglichem Maße! Das habe ich in Mannheim erfahren. Ich kenne keine höheren und erhabeneren Zustände als die dort erlebten und bin glücklich, mich aus zahlreichen Fesseln und Zurückhaltungen für diese Tage herausgerissen zu haben.
Von den Baireuther Dingen hast Du wohl gehört, von der herrlichen Lage des Bauortes, von der Umtaufung des „Stuckbergs“ in „Richardshöhe“, von den großen Hoffnungen, die sich bei den Baireuthern bereits in der Petition einer neuen Eisenbahn geäußert haben usw. Wagner war sehr glücklich, wie er seine „Geschäfte“ abgemacht habe.
Ich habe in Mannheim meine Weihnachtsfeier anticipirt und kann diesmal nicht nach Tribschen, weil ich Zeit und Einsamkeit brauche, um meine Vorträge „über die Zukunft unserer Bildungsanstalten“ auszudenken.
Nun, mein lieber Freund, lebe wohl! Sage Deinen verehrten Angehörigen meine ehrerbietigsten Empfehlungen und bewahre mir, für das Neujahr und alle Zukunft, die herzliche Gesinnung, von der ich so oft durch die schönsten Dokumente überzeugt werde.
In alter Treue und unter
den besten Glückwünschen
Dein Friedrich Nietzsche.