1871, Briefe 118–182a
149. An Erwin Rohde in Kiel
Basel 4 August 71.
Mein lieber Freund,
ich antwortete nicht auf Deinen zweiten Brief, weil ich erst sehen wollte, was ich in unserer Sache für Dich thun könnte. Daß ich nicht faul gewesen bin, nachdem Du mir die Aktion überlassen hast, könnte ich Dir durch einen Briefwechsel von 10 Briefen beweisen. Dich mit dem ganzen Gange der Angelegenheit jetzt noch zu incommodiren wäre nur langweilig — da das Resultat feststeht — leider feststeht — ich habe nichts für uns durchsetzen können, so gut der Anschein war, den die Sache in den früheren Stadien hatte. Benndorf hat mir gestern, etwas gereizt, die Lage klar gemacht, er scheint seinen Matz oder Dilthey warm zu halten, und meine Maßregeln, die sonderbarer Weise die Unterstützung der einflußreichsten Züricherischen Politiker fanden, tüchtig übelgenommen zu haben. Da er aber in der Commission eine wichtige Stimme hat und Dich durchaus nicht als Archäologen gelten lassen will, so ist es eben vorbei, und ich lauere wieder auf eine neue Gelegenheit. Du hast Recht — die Götter müssen etwas Seltsames mit uns vorhaben, daß sie bisjetzt uns so hartnäckig ein Bein stellen. Dieses Jahr habe ich nun schon zwei Experimente gemacht — nun, hoffen wir auf das dritte. —
Ich bin sehr glücklich, daß Du einen guten Eindruck von meinem „Sokrates“ bekommen hast und danke Dir sehr für Deine Theilnahme. Vieles aus dieser „purpurnen Dunkelheit“ wird noch deutlicher werden, wenn die ganze Schrift zusammenhängend vorliegt.
In der That glaube ich viel aus dem Gegensatze des Dionysischen und Apollinischen ableiten zu können. — Dein Ribbeck mit dem Wunsche nach Zeugniß und Beweis hat mir Freude eigner Art gemacht, wie sollte denn wohl das Zeugniß ungefähr lauten? Man bemüht sich der Entstehung der räthselhaftesten Dinge nahe zu kommen — und jetzt verlangt der geehrte Leser, daß das ganze Problem durch ein Zeugniß abgethan werde, wahrscheinlich aus dem Munde des Apollo selbst: oder würde eine Stelle bei Athenaeus dieselben Dienste thun? Für gewisse Leute sogar noch bessere. Denn dem wahrsagenden Apollo würde man jetzt, wie dem Ochsen der da drischet, das Maul verbinden. —
Übrigens zweifle ich nicht, daß ich irgendwann einmal dieselben Dinge noch besser und durchsichtiger darzulegen lernen werde. Inzwischen bitte ich Dich, Dich mit dem mystischen Dampfe der ersten Conception zu begnügen. Ich habe mich wahrhaftig im Punkte des Stils und der Ableitung durch strenge Anforderungen im Zaume gehalten, aber eine gewisse ἀλογία wird man bei solchen Dingen nicht los. Das Studium Schopenhauers wirst Du überall bemerkt haben, auch in der Stilistik: aber eine sonderbare Metaphysik der Kunst, die den Hintergrund macht, ist so ziemlich mein Eigenthum, nämlich Grundbesitz, aber noch nicht mobiles, kursives, gemünztes Eigenthum. Daher die „purpurne Dunkelheit“: als welcher Ausdruck mir unbeschreiblich gefallen hat. —
Im Herbst wird Richard Wagner wahrscheinlich in Mannheim ein großes Concert geben. Dies ist für uns ein Signal zusammenzukommen. Mannheim ist wirklich etwa die Mitte zwischen uns. Alles Nähere theile ich Dir mit, so bald irgend etwas darüber feststeht. Gieb mir doch eine Notiz ob Dir meine Combination gefällt. Eine Zusammenkunft unter den Weiheklängen Wagnerscher Musik — eine zauberisch schöne Vorstellung! Opfern wir schnell den Dämonen, daß sie nicht auch diesen Wunsch mir zu nichte machen!
Lebe wohl! Mein lieber guter treuer Freund und betrübe Dich nicht! Wir kommen zusammen! Und dann Eia popeia!
Friedr. Nietzsche.