1871, Briefe 118–182a
148. An Friedrich Ritschl in Leipzig
Basel 4 Aug. 71
Verehrtester Herr Geheimrath,
durch eine kleine Reise in die Berge ist es mir etwas später als ich wünschen möchte, möglich geworden, die Büchersendung an Sie zu effektuiren. Ich denke aber, daß Hr. Opitz noch nicht in die Ferien abgereist sein wird und daß somit die Bücher gerade noch zur rechten Zeit in seine Hände kommen. Es scheint mir daß er finden wird, was er wünscht — ein ziemlich reiches und bisher unverwerthetes Material. —
Ich habe in den letzten Wochen einen Versuch gemacht, etwas für Rohde in Betreff der Züricher Professur zu erwirken — ohne Erfolg. Ich wußte nämlich gar nicht, daß die Regierung die entscheidenden Vorschlagsrechte in die Hände einer Commission von 3 Professoren gelegt hat, Benndorf an der Spitze: ich hatte mich aber mit meinen Empfehlungen und der Aufforderung, man möge sich bei Ihnen und Ribbeck nach Rohde erkundigen, an die Regierung gewendet. Benndorf nun scheint in seiner nervösen Art die Umgehung seiner Person übel genommen zu haben, während in der That Niemand von vorn herein gerade auf ihn rathen konnte, bei dem anerkannt mißlichen und für die Regierung feindseligen Schritte seiner Amtsniederlegung. Kurz — ich habe mich umsonst bemüht und muß auf eine bessere Gelegenheit warten, Rohde zu nützen. —
Ich weiß nicht, wer mir erzählt hat o<de>r ob ich es geträumt habe, daß die Leipziger Philologenversammlung nicht zu Stande kommt. Das thut mir leid: schlecht — wäre besser. —
Weiß man etwas über den Nachfolger von Falkenstein im Cultusminist<erium>? Ich habe auf Gerber gerathen. —
Was Sie mir gütigst mittheilten — daß nämlich Mommsen jene Briefe an Wehrenpfennig, in Treitzschkes Abwesenheit zum Abdruck übergeben habe — hat sich mir noch von einer anderen Seite aus bestätigt (Treitzschke hat den Hergang in gleicher Weise erzählt).
Haben Sie gute Nachrichten aus Ragaz von Ihrer Fräulein Tochter? Und wie überstehen Sie selbst diesen absurden Sommer? Die Statistik der Leipziger Universität zeigt ja enorme Progressionen für dies Semester. Der Ringkampf mit Berlin ist bereits für Leipzig entschieden.
Mich Ihnen und Ihrer Frau Gemahlin herzlich empfehlend und für die Zusendung Ihres plautinischen Aufsatzes bestens dankend
bin ich in steter Treue
Ihr ergebener Schüler
Friedrich Nietzsche.