1871, Briefe 118–182a
143. An Franziska Nietzsche in Naumburg
Basel 11 Juli 71.
Recht lange, meine liebe Mutter, hast Du von mir keinen Brief bekommen. Das kommt davon, wenn Lisbeth bei mir lebt, da wird sofort die Correspondenz einbeinig. Gestern haben wir ihren Geburtstag gefeiert, wie? wird sie Dir selbst erzählen. Leider war sie den Tag über nicht ganz wohl. Wir sind hier in der Periode der fortwährenden Gewitter: gestern hatten wir in einem Tag ungefähr sieben. Dazwischen — wie augenblicklich <—> ist die Hitze und Schwüle unerträglich, wir sind wie in einem Dampfbade und sehnen uns sehr nach einem kühlen Aufenthalt. — Meine Gesundheit hat das letzte Vierteljahr Stand gehalten, nur einige kürzer vorübergehende Leidenszustände ungerechnet. Im Ganzen bin ich recht zufrieden, doch merke ich schon wieder, daß ich 10 Wochen hintereinander unterrichtet habe. Das ist doch recht angreifend.
Du hast in Naumburg jetzt bekümmerte Tage der armen Laubscher’s wegen erlebt und ich denke mir, daß Du recht trübgemuth zu Hause sitzen wirst. Lisbeth sagt mir gar, daß Du Dich Deines Auskommens halber sorgst. Ich mache Dir selbst folgendes Anerbieten, das Du einfach annimmst, ohne Lisbeth oder andern Menschen etwas davon zu sagen. Erstens bitte ich Dich, die kleine Summe, die Du von meinen Zinsen für Dich abgezogen hast, (wie mir Lisbeth heute sagt) als ein kleines Geschenk von mir anzunehmen. Sodann betrachte die Zinsen der 200 Thl., die Oskar mir seit Ostern schuldet, als die deinigen: so lange jetzt Oskar mir das Geld schuldet, gehören die Zinsen Dir. Nur bitte ich Dich, Oskar nichts davon zu sagen. Drittens bitte ich Dich, von meinen Eisenbahnpapieren Dir eins auszuwählen, nach Deinem Ermessen, welches Du haben willst: verwerthe es, wie Du Lust hast: ich meine, versilbere es und benutze es zu Deinen Bedürfnissen! Damit wird ja Deiner augenblicklichen Sorge wohl etwas abgeholfen sein. Ich selbst gestatte mir diesen Scherz als eine Nachfeier von Lisbeths Geburtstag und bitte nur darum, daß der Scherz verschwiegen bleibt und zweitens, daß Du ihn sans façon annimmst. Ich nehme einen Dank Deinerseits dafür gar nicht an.
Jetzt schlägt meine Stunde zum Mittagessen. Ich wünsche Dir guten Appetit und Heiterkeit,
Dein alter Sohn.