1883, Briefe 367–478
478. An Franziska und Elisabeth Nietzsche in Naumburg
<Nizza,> 25 Dez. früh. <1883>
Meine Lieben Guten,
nun habe ich alle Eure herzlichen und sorglichen Briefe von Villafranca, auch das prächtige militärische Buch und eben noch den Weihnachtsbrief — da ärgert es mich so, daß mein letzter gestern Abend abgesandter Brief gar nicht zu Eurer fröhlichen Tonart paßt, und daß ich nicht meinen Wurm für mich behalten habe, wie so oft in anderen Jahren. Wahr ist es nun freilich, daß es mir erbärmlich schlecht geht und gegangen ist (die erste Reihe der Tage in Nizza ausgenommen, wo ich wie elektrisirt war); ich glaube daß meine Gesundheit in diesem letzten Vierteljahr so schlimm war wie je in meinen schlechtesten Zeiten; und oft weiß ich nicht mehr wo aus, noch ein. Alles war an mir krank, ich kam alle 2—3 Tage eben Ein Mal dazu essen zu können; dann alle Art Erkältungen (heftigen Schnupfen als kleinstes Übel gar nicht zu rechnen) Ewig Erbrechen, Schlaflosigkeit, schwermüthige Gedanken über die alten Dinge, allgemeines Unbehagen des Kopfes, spitzige Schmerzen in den Augen, daher auch nicht lesen, keine Gesellschaft — denn mein Magen zwang mich nach kurzer Zeit jene bunte Tischgesellschaft aufzugeben. Auch habe ich nie so an der Kälte gelitten, wie hier; die Nächte friert es gewöhnlich. Sonst ist das Wetter prachtvoll und meine stäte tägliche Bewunderung. — Aber ich muß Vieles ändern und besser haben als ich es jetzt habe: sonst ist es vorbei mit Eurem Fritz.
Vielleicht habe ich bald die rechte Hülfe an dem Herrn Paul Lanzky in Florenz, der wie es scheint darauf wartet, mit mir zusammen zu leben; nur kann er jetzt von Florenz nicht fort. Er ist Mitbesitzer des Hôtels von Vallombrosa und hat mir bereits für nächstes Frühjahr Vorschläge gemacht, die ganz schön für Euren Eremiten und Wald-Einsiedler passen. Was den Hochsommer betrifft, so halte ich an Sils-Maria fest: und wenn das liebe Lama hinaufkommen will, so ist das recht und lieb und auch schon von mir mit der Frau Durisch in Aussicht genommen — lieber aber als Frl. Mellien würde ich Frl. v. Salis in ihrer Gesellschaft finden. Freilich, ich kenne weder die Eine, noch die Andre.
Hr. Lanzky ist der Erste, der an mich schreibt „verehrtester Meister!“ — es macht mir ebenso sehr Rührung als Spaaß und Spott, daß ich hierin anfange, zum Erben Wagner’s zu werden.
Ich bin jetzt ganz still untergebracht, die gute Frau Hendschel kocht; ein Spanier, mit dem ich mich italiänisch verständige und der theilnahmvoll für mich ist „come un fratello“ theilt meine Mahlzeiten. Ich habe nun auch ein kleines Öfchen mir ins Zimmer schaffen lassen — und damit, wenn nicht das Vergnügen der Wärme, so doch das des dicken Rauchs.
So! Meine herzlich Geliebten, legt Euch meinen häßlichen Brief von gestern zurecht, so gut es gehn will und bringt mich auf andre Gedanken — Ihr könnt nicht glauben, welche Gemüths-Qualen ich ausstehe, und seit einem Jahre! — ich habe ein sehr verborgenes Leben geführt, es ist mir schwer beizukommen und aufzuhelfen; ich glaube, es ist gar nicht zu errathen, warum ich so leide.
Nun wohlan! Da ist das neue Jahr vor der Thüre. Um des Himmels Willen, nichts schicken! Wir haben hier den Stadt-Octroi — ganz abgesehn noch von der Douane!
Seid fröhlich, wie ich es sein möchte!
Von Herzen dankbar
Euer F.
Schönstes Neujahr für uns Drei!