1883, Briefe 367–478
371. An Malwida von Meysenbug in Rom
<Rapallo,> Am 1.ten Februar 1883.
Verehrtestes Fräulein,
die Güte Ihres Vorschlags hat mich bewegt: es war soviel Nachdenken darin — über das, was gerade mir noth thut. Wie selten wird einem das Geschenk einer solchen nachdenklichen Güte!
Der Zufall wollte, daß ich gerade meiner alten Genueser Wirthin versprochen hatte, den Februar in meinem alten Kämmerchen bei ihr zuzubringen. Aber „der Zufall“ will wiederum, daß sie mir vorgestern meldet, besagtes Kämmerchen werde doch nicht frei: der Herr, der bisher darin wohne, habe sich entschlossen, zu bleiben. Also bin ich frei, auch für Rom.
Nehmen wir also an, daß ich Mitte des Monats Februar nach Rom komme. —
Was das Klima Rom’s betrifft, so bin ich freilich besorgt: die intrikate Maschinerie meines Kopfes hält es wirklich nur an wenig Orten aus. Das letzte Mal hatte ich denselben Scirocco dort, der mich aus Messina trieb: ich fand ihn in Orta wieder, dann in Luzern — und endlich hat er mich (in Gestalt von Fräulein L<ou> S<alomé>) auch in Deutschland weidlich gequält - - -
Aber einen Monat versuche ich’s jedenfalls. Meine „Einsiedlerei“ wird ja auch in Rom möglich sein: sie ist bei mir leider eine ganz einfache Sache der Noth, obschon ich reichlich viel guten Willen in diese „Noth“ hineingelegt habe. — Dergestalt suche ich mir alle meine Nothwendigkeiten zu „wenden“.
Unschätzbar ist mir gerade in diesem Augenblick die Möglichkeit, welche Sie mir eröffnen, daß Fräulein Horner bereit sei, nach meinem Dictate zu schreiben. Ich habe gerade etwas zu diktiren und druckfertig zu machen: wenn Fräulein H<orner> mir dabei helfen will, so ist es wirklich eine „Hülfe in der Noth“. Ich wußte gar nicht, wohin mich wenden: da kam Ihr Brief.
Geben Sie mir, meine hochverehrte Freundin, mit Einem Worte noch den Wink, wo die Wohnung ist, welche Sie erwähnten — und verzeihen Sie, was ich Ihren Augen und nicht nur Ihren Augen wieder für Noth gemacht habe!
Von ganzem Herzen der Ihrige
Dr. F. Nietzsche.
Santa Marguerita Ligure (poste restante).