1883, Briefe 367–478
432. An Elisabeth Nietzsche in Naumburg
<Sils-Maria, 10. Juli 1883>
Mein liebes Lama, also so weit ist meine Zarathustra-Angelegenheit vorwärts gerückt, daß ich Ende dieser Woche bereit bin zur Absendung des druckfertigen Manuscriptes.
Ah, ich kann nicht ausdrücken, wie groß die Genugthuung ist, welche ich bei diesen Worten empfinde. Damit, daß ich diesen 2ten Theil gemacht habe, ist das ganze Jahr schon gerechtfertigt, insbesondere die Reise nach dem Engadin: und sogar auch die Reise nach Rom bekommt nun eine neue Bedeutung: es war ein tiefes Ausruhen in diesem römischen Aufenthalt; und gerade auch in der Zerstreuung und dem Lärm meiner Wohnung lag etwas Nützliches, ebenso in dem Klumpfuß auf der Eisenbahn und dem vielen verdorbenen Magen und schlechten Nächten. Alles hinderte mich zu arbeiten und nachzudenken; und es ist kaum zu sagen, wie schwer es ist, mich von mir selber wegzuziehn. — Von dieser negativen Wohlthätigkeit Rom’s könnte ich nun noch zur positiven übergehen — aber meine Augen sind übel daran, und ich habe noch Anderes zu schreiben.
Unter allen Umständen muß jetzt unverzüglich der Druck losgehen! oder ich breche mit Schmeitzner (wozu ich allen Grund habe — —)
So lange er glaubt, daß seine Agitation eine wichtigere Angelegenheit sei als die Verbreitung meiner Bücher und Gedanken: ist es für mich die äußerste Geduldsprobe meines Stolzes, mit ihm zu verkehren. —
Im letzten Winter habe ich Alles so eingerichtet, daß der erste Theil Zarathustra Ostern in den Händen meiner Leser sein konnte: und habe den höchsten Fleiß nöthig gehabt, um es so einzurichten. Ein verlornes halbes Jahr der Wirkung meiner Gedanken kommt recht sehr in Betracht, namentlich in Hinsicht auf die Dauer meines eignen Lebens. —
Daß il negro immer noch auf der Wanderschaft ist, thut mir recht Leid. Herrig soll mir sehr willkommen sein.
Der Brief an Frau R<ée> ist, litterarisch betrachtet, Deine beste Leistung bisher; gebe der Himmel, daß es nie wieder zu solchen Anlässen kommt, Dich litterarisch auszuzeichnen! Übrigens kann ich schwören, daß die mir in Deinem Briefe zugesprochene Denk- und Handlungsweise mit der Wahrheit übereinstimmt, und nicht nur eine „schöne Farbe“ ist. Mein Mitleid hatte über meinen Stolz gesiegt, und die Absicht zu helfen über die Absicht, mir zu nützen — (in der „fröhlichen Wissenschaft“ steht zu lesen: „wo liegen deine größten Gefahren? — Im Mitleiden.“);
Rée habe ich auch in dieser Sache viel zu gut behandelt: und ungefähr 10 Briefe an ihn nicht abgeschickt (vielmehr an Stelle eines jeden einen neuen geschrieben — ich fürchtete immer, er könnte sich das Leben nehmen. Zuletzt hat er über seinen verrückten Freund wohl nur gelacht!)
Bitte, bringe die Sache mit Schmeitzner-Teubner in Ordnung. Sobald Du das Ja-wort hast, telegraphire mir „Ja“.
Dir und unsrer lieben Mutter das Herzlichste!
Dein F.
Es geht wieder besser mit der Gesundheit, seit ich täglich saure Milch nehme, wie in Tautenburg.