1883, Briefe 367–478
381. An Heinrich Köselitz in Venedig
<Rapallo, 19. Februar 1883>
Lieber Freund, jeder Ihrer letzten Briefe war eine Wohlthat für mich: ich danke Ihnen von ganzem Herzen dafür.
Dieser Winter war der schlechteste meines Lebens; und ich betrachte mich als das Opfer einer Natur-Störung. Das alte Sündfluth-Europa bringt mich noch um: aber vielleicht kommt mir noch ein Mensch zu Hülfe und schleppt mich auf die Hochlande von Mexico. Allein kann ich solche Reisen nicht unternehmen: das verbieten die Augen und einiges Andre.
Die ungeheure Last, die in Folge des Wetters auf mir liegt (sogar der alte Aetna beginnt zu speien!) hat sich bei mir in Gedanken und Gefühle verwandelt, deren Druck furchtbar war: und aus dem plötzlichen Loswerden von dieser Last, in Folge von 10 absolut heitern und frischen Januartagen, die es gab, ist mein „Zarathustra“ entstanden, das losgebundenste meiner Erzeugnisse. Teubner druckt bereits daran; ich selber habe die Abschrift gemacht. Übrigens meldet Schmeitzner, daß im vergangnen Jahre alle meine Schriften besser gekauft worden sind, und ich erfahre sonst allerlei über eine wachsende Theilnahme. Sogar ein Mitglied des Reichstags und Anhänger Bismarcks (Delbrück) soll seinen äußersten Unwillen darüber ausgedrückt haben, daß ich nicht — in Berlin lebe, sondern in St. Margherita!!
Verzeihen Sie dies Geschwätz, Sie wissen, was mir sonst jetzt gerade im Kopfe und am Herzen liegt. Ich war einige Tage heftig krank und machte meinen Wirthen Besorgnisse. Es geht nun wieder, und ich glaube sogar, daß der Tod Wagners die wesentlichste Erleichterung war, die mir jetzt geschafft werden konnte. Es war hart, sechs Jahre lang Gegner dessen sein zu müssen, den man am meisten verehrt hat, und ich bin nicht grob genug dazu gebaut. Zuletzt war es der altgewordne Wagner, gegen den ich mich wehren mußte; was den eigentlichen Wagner betrifft, so will ich schon noch zu einem guten Theile sein Erbe werden (wie ich es oft gegen Malvida gesagt habe) Im letzten Sommer empfand ich, daß er mir alle die Menschen weggenommen hatte, auf welche in Deutschland zu wirken überhaupt Sinn haben kann, und sie in die verworrne wüste Feindseligkeit seines Alters hineinzuziehn begann.
Es versteht sich, daß ich an Cosima geschrieben habe.
Im Übrigen, alter Freund, auch Ihnen hat sich mit diesem Tode der Himmel aufgehellt. Es ist jetzt Verschiedenes möglich zB. daß wir noch einmal im Bayreuther „Tempel“ sitzen, um Sie zu hören.
Was Ihre Worte über Lou betrifft, so habe ich sehr lachen müssen. Glauben Sie denn, daß ich darin einen andern „Geschmack“ habe als Sie? Nein, durchaus nicht! Aber im gegebnen Falle handelte es sich verdammt wenig um „mit oder ohne Liebreiz“, sondern darum, ob ein groß angelegter Mensch zu Grunde geht oder nicht. —
Also die Correcturen dürfen wieder zu Ihnen laufen, mein alter hülfreicher Freund? — Schönsten Dank für Alles.
FN.