1873, Briefe 287–338a
330. An Erwin Rohde in Kiel
<Basel, 21. November 1873>
Theurer lieber Freund, Absolution für’s lange Stillschweigen und für das heute nur kurze Nichtschweigen — denn ich darf wirklich noch nicht recht daran mit meinen Augen und habe das Bischen Lichtzeit wacker für Vorlesungen, Pädagogiumsstunden und meine eigenen Hausdinge auszulitzen. Was letz<t>ere angeht, so komme ich vorwärts mit der Nr 2 der Zeitungemässheit; wünsche mir für die nächsten Wochen Heiterkeit und die Stimmung, die ich jetzt habe, so bin ich fertig. — Willst Du eine Correctur davon übernehmen? Es soll keine lange Sache sein, sondern die einmal beliebten 100 Seiten. Fällt’s Dir schwer, so sage einfach Nein.
Fritzsch kam nicht nach Bayreuth, hat mir kein Geld geschickt und schweigt. Da steht er der Arme, Gott helfe ihm, er kann wahrscheinlich nicht anders. Amen.
Der Mahnruf ist verworfen worden, Du hast die richtige Empfindung gehabt. Hab rechten Dank für Dein Freundschaftswort nach Bayreuth. Dort war’s herzlich und warm, recht stärkend; der von Prof. Stern verfasste Aufruf läuft jetzt durch alle Zeitungen. Die Sammelstätten bei den deutschen Buchhändlern allerorts mögen Schatzkammern werden — diesen Wunsch wünsche ich Tag und Nacht. — Offen gestanden, Wagner Frau Wagner und ich sind mehr von der Wirkung meines Mahnruf’s überzeugt, es scheint uns nur eine Sache der Zeit zu sein, wann er absolut allein übrig und nöthig sein wird.
Hier sind wir heiter beisammen, wie Leute, die etwas Gutes im Schilde führen. Ach warum kannst Du nicht bei uns sein!
Wir denken Deiner immer mit stiller und lauter Trauer.
Wie gehts mit dem griechischen Roman? — Aber warte, wir schlagen uns durch, es wird noch alles gut und nicht ewig werden wir so einsam sein.
Ich möchte doch, dass Du einmal den Grenzbotenartikel lesest, als erheiterndes Curiosum: so was brauchen wir jetzt mitunter. Der Stier und der rothe Lappen. Dr. Fuchs wollte eine Gegenschrift schreiben, Rathsherr Vischer öffentlich protestiren, es war Mühe nöthig die Menschen zu beschwichtigen. Basel als „Winkeluniversität“ ist seitdem hier zum Hohne sprichwörtlich geworden und war das Schlagwort der Tischreden bei der Rektoratsfeier.
Ritschl hat mir einen jüdisch-römischen Aufsatz zugeschickt.
Adieu. Der gute Geist, Liebe und
Freundschaft sei um Dich.
Dein Getreuer in
Basel.