1873, Briefe 287–338a
295. An Franziska und Elisabeth Nietzsche in Naumburg
<Basel, 15. Februar 1873> Sonnabend.
Meine liebe Mutter und Schwester,
habt herzlichen Dank, diesmal feire ich <den> zweiten Februar auch noch hinterdrein, obwohl ich nicht verschweigen will, daß wir drei, Overbeck Romundt und ich, am Tage selbst auf Dein Wohl festlich in Rheinwein angestoßen haben. Die Schinkenwurst ist wirklich excellent, und ich selbst bin auch wieder in der Verfassung eben dies beurtheilen zu können. Das heißt, Geschmack und Appetit ist vorhanden, allerdings immer zugleich noch Husten und Schnupfen. Bei gegenwärtiger Witterung habe ich kaum Hoffnung davon frei zu werden. Übrigens habe ich die letzten Wochen meine Vorlesungen Abends, um nicht der Abendluft mich auszusetzen, in meiner Stube gehalten. Und gestern war ich überhaupt, seit vier Wochen, einmal wieder in Gesellschaft, bei Immermanns. Diese lassen Dich und Dich bestens grüßen, sie haben jetzt die alte Mutter und eine junge Cousine bei sich. Übrigens hat Frau Immermann, die eine Zeitlang in Göttingen und anderwärts war, eifrig für mich und oftmals zu kämpfen Anlaß gehabt. Es scheint daß man in Universitätsstädten viel über und gegen mich schwätzt.
Übrigens bin ich thätig gewesen, und wenn es Gesundheit und die Ostertage gestatten, so werde ich noch vor Anfang des Sommers mit einem neuen Buche fertig. Es heißt wahrscheinlich „die Philosophie im tragischen Zeitalter der Griechen.“ Doch brauche ich vor dem Abschluß noch einige Erholung, gute Luft und gesunderes Clima. Vielleicht gehe ich Ostern auf eine Woche (mehr Zeit giebt es nicht) nach Gersau oder Montreux. Wie schön ist es doch, daß ich so etwas so nah habe! Nicht wahr?
Habt Ihr denn das Preisausschreiben gelesen, wo Prof. Simrock in Bonn, Heyne und ich als Richter genannt sind? Der Preis ist ein ganzer Patronatsschein oder (nach Wahl) 300 Thl.
Von Frau Wagner bekam ich gestern einen langen Brief, übrigens auch mit Empfehlungen und Neujahrsgratulationen für Euch Beide. Sie spricht ihre große Freude und Rührung über meine „Vorreden“ aus: bis jetzt war sie, in der stürmischen Rundreise-Noth, noch nicht dazu gekommen, mir zu schreiben. Jetzt ist aber eine kleine Pause: sie schreibt mir aus Bayreuth. Von ein paar Concerten in Hamburg und Berlin haben sie 12000 Thl. für das Bayreuther Unternehmen mitgebracht. Rohde haben sie in Hamburg, Dr Fuchs in Berlin gesprochen. Frl von Meysenbug soll jetzt nach Bayreuth, um dort Erziehungsanstalten, Kindergärten usw zu errichten.
Giebt es denn hier nichts Neues? Also Frau Heyne geht es recht gut, neulich konnte sie wieder bei einem Diner mit ihrem Gatten erscheinen: was ihr auch gut bekommen ist. Kurz, das ist nun überwunden und in Ordnung. Frau Sieber ist dagegen immer nicht gut daran; und Sieber selbst war krank. Frau Prof. Vischer-Heusler habe ich vorgestern besucht, um ihr von Weihnachten zu erzählen. Der Bruder von Sally Vischer hat sich verlobt, mit einer Frl. Bachofen aus dem weißen Hause. (Doch nicht mit der, von der Du gehört hast, und die die Villa hat, es sind drei Brüder, der Prof. und zwei) Andreas Heusler ist wieder in diesen Tagen nach Davos abgereist, zu seiner Frau. Dem alten Vischer geht es recht ordentlich.
Übrigens war die Torte sehr gut und ließ mich glauben, daß diese Bäckerei bei Euch besser sei als hier.
Nun nochmals meinen herzlichen Dank. Euch rechtes Wohlergehn anwünschend
bin ich in alter Liebe
Euer F.