1873, Briefe 287–338a
288. An Erwin Rohde in Hamburg
Naumburg. 4 Jan. 1873
Herzlichen Dank, geliebter Freund, für Deinen weihnachtlich vergnügten Gruß und Brief. Inzwischen wirst Du wohl mein Photogramm bekommen haben: heute will ich, als am letzten Naumburger Ferientage, nur ein Wörtchen schreiben, denn heute Abend fahre ich schon wieder retrorsum. Oft ist Deiner gedacht worden, von Gustav und mir, wenn je musicirt wurde, und noch öfter bei mir zu Hause. Ich habe an Frau Wagner ein dickliches Manuscript geschickt mit folgendem Titel: Fünf Vorreden zu fünf ungeschriebenen (und nicht zu schreibenden) Büchern. 1. Über das Pathos der Wahrheit. 2. Über die Zukunft unserer Bildungsanstalten. 3. Der griechische Staat. 4. Über das Verhältniss der Schopenhauerischen Philosophie zu einer deutschen Cultur. 5. Der Wettkampf. Davon kennst Du höchstens Nr. 3; alles Andre ist ganz neu.
W<agner> lud mich zum Neujahrstag ein, zur Geburtstagsfeier von Frau Cosima; ich konnte nicht kommen. Im Januar denke ich wirst Du Beide in Hamburg zum großen Concert begrüßen und wahrsch<einlich> während dieser Zeit der cavaliere von Fr<au> W<agner> sein.
Am zweiten Feiertag war ich in Weimar, um den Lohengrin zu hören: ich hatte dem Intendanten telegraphirt daß ich ihn noch nie gehört habe und war in seiner Loge. Auch in Leipzig war ich einen Nachmittag: mein Verleger hatte brieflich die Erlaubniß zur zweiten Auflage eingeholt und ich gab mündlich die vergnügte Zustimmung. Nun bitte ich Dich mir unumwundenst zu sagen, was Du etwa an Worten verändert und vertauscht wünschest. Du bist der beste Kenner und Beurtheiler des Buches, auch seines Details, bitte sage mir, was Du meinst. Ich schicke ein Blatt mit, worauf ich notirt habe, was mir aufgefallen ist. Was denkst Du zur Einführung der griechischen Endungen Dionysos? Mit Ritschl war ich auch zusammen, er hat mir über die Kieler Professur alles Einzelnste mitgetheilt: er meint, daß Schöll nicht annehmen werde. Von Dir meinte er, es könne Dir nicht fehlen, einmal eine gute ordentl. Stellung zu bekommen, auch seist Du schon mehrfach genannt worden, bei anderen Gelegenheiten. Von Freiburg schwieg er. Übrigens weiß ich, daß die Freiburger unglücklich über ihren absoluten Fehlgriff (Keller) sind. — Von mir wußte Ritschl manches Unangenehme zu vermelden zB. daß ich ein schlechter Dozent sein solle (er drückte es nicht so stark aus, aber er meinte es) Ich habe ihn gebeten mir dies schriftlich zu geben und werde Dir das Documentum zuschicken. Ich sei nicht populär genug etc. Da nun die augenblickliche Zahl von 2 Zuhörern dafür spricht, und alle Welt aus meinem Buche sich eine verrückte Vorstellung über meinen Vortrag macht, so begreife ich, bei der herrschenden Mißgunst gegen mich, jenes Urtheil — an das aber jetzt, mit Schlauheit, meine akademische Unmöglichkeit und Unbeförderbarkeit angeknüpft werden wird. Übrigens glaube ich, ohne alle Bescheidenheit, daß ich ein ganz leidlicher Dozent bin, und auch in Basel glaubt man dies. —
Lebewohl mein lieber Freund und lebe immer besser im neuen Jahre. Sei überzeugt von meinem guten Muthe und daß wir endlich triumphiren werden. Amen.
F. N.