1873, Briefe 287–338a
315. An Franziska Nietzsche in Naumburg
Basel 21 Sept 73.
Meine liebe gute Mutter, so ist denn unsre gute Tante dahin, und wir sind wieder einsamer. Alt werden und einsam werden scheint dasselbe, und ganz zuletzt ist man wieder nur mit sich zusammen und macht Andre durch unsern Tod einsamer.
Gerade weil ich wenig von meinem Vater weiss und ihn mir mehr aus gelegentlichen Erzählungen errathen muss, waren mir seine nächsten Anverwandten mehr als sonst Tanten zu sein pflegen. Ich freue mich, wenn ich an Tante Riekchen, wie an die Plauenschen usw. denke, dass sie alle eine sonderliche Natur bis in ein hohes Alter festhielten und in sich Halt hatten, um weniger von aussen her und von dem so zweifelhaften Wohlwollen der Menschen abzuhängen: ich freue mich dessen, weil ich darin die Raçeeigenschaft derer, die Nietzsche heissen, finde und sie selbst habe.
Deshalb war die gute Tante mir immer auf das Freundlichste gewogen, weil sie es fühlte, wie wir in Einer Hauptsache verwandt waren, nämlich eben in der Nietzsche’schen Hauptsache. Und so ehre ich denn ihr Angedenken, indem ich von Herzen begehre, wenn ich alt werden sollte, wenigstens nicht von mir selber, das heisst von dem Geiste meiner Väter abzufallen.
Erwarte jetzt, meine liebe vielgeplagte weil viel helfende Mutter, nichts mehr von mir und denke gerne
an Deinen Sohn
Friedrich Nietzsche