1873, Briefe 287–338a
325. An Carl von Gersdorff in Mailand
<Basel, 7. November 1873>
Liebster Freund,
Erkenne die Schriftzüge des Goi. — Also ich war von Mittwoch Abend bis Montag Morgen auf der Reise, hinwärts allein, rückwärts mit Heckel zusammen. In Bayreuth war etwa ein Dutzend Menschen zusammen gekommen, lauter Delegierte der Vereine und ich der einzige Patron an sich. Von Bekannten nenne ich Dir den Börsenkourier Davidson, das würdige Paar Batz und Voltz, dann Balligand und, um gleich die Besten zu nennen: Stern aus Dresden und Graf Dumoulin aus Regensburg.
Wer fehlte aber trotz aller Versprechungen? — Fritzsch, der sich wieder hinter Wolken verbirgt und dessen Beruhigungsbriefe uns jetzt nur noch mehr beunruhigen. Der eigentliche Festtag hatte jenes von dem Stiftungsfeste her dir wohlbekannte Sauwetter, so dass wieder einmal bei dem Besuch unserer Bundeshütte der stattlich geschmückte Patron einen neuen Hut zum Opfer bringen musste. Wohlgemerkt: das Wetter am Tage vorher und nachher war wundervoll hell und blau. Nach der Besichtigung in Dreck, Nebel und Dunkelheit war die Hauptsitzung im Rathaussaal, in der mein Mahnruf von Seiten der Delegirten artig, aber bestimmt abgelehnt wurde; ich selbst protestierte gegen eine Umarbeitung und empfahl Prof. Stern für die schnelle Anfertigung eines neuen Fabrikats. Dagegen wurde Heckels vortrefflicher Vorschlag, bei sämmtlichen deutschen Buchhändlern Sammelstätten zu errichten, approbiert. Die ganze Sitzung war ein wunderlicher Akt, halb erhaben, halb sehr realistisch, aber doch in seiner Gesammtwirkung stark genug, um alle die Lotterieprojekte u. dgl., die im Grunde der Versammlung waren, verstummen zu machen. Den Abend beschloss ein sehr gelungenes, behagliches und harmloses Bankett in der Sonne, an dem auch Frau Wagner und Frl. v. Meysenbug als die einzigen Frauen theilnahmen. Ich hatte den Ehrenplatz zwischen beiden und bekam desshalb nach einer italienischen Oper den Namen Sargino, der Zögling der Liebe. Batz hielt eine Tischrede auf Frau Wagner und verband darin unbegreiflicher Weise ihr Lob mit den Begriffen Schnupftabakdose und Nachdruck. Sonnabend früh war Schlusssitzung bei Feust<e>l, in der der Entwurf Sterns acceptiert wurde. Du wirst ihn lesen, denn er wird eine grosse Publicität erlangen. Mein Mahnruf, von Wagners sehr gut geheissen, wird von stattlichen Namen unterzeichnet noch einmal Bedeutung bekommen, falls nämlich der Zweck des gegenwärtigen, optimistisch gefärbten Aufrufs nicht erreicht werden sollte. Nachmittags sahen wir uns bei schönster Abendsonne noch einmal das Theater an; die Kinder waren auch dabei; ich kletterte nach der Mitte der Fürstenloge. Der Bau sieht viel schöner und proportionierter aus als wir etwa nach den Plänen vermuthen. Es ist nicht möglich, ihn ohne Bewegung an einem klaren Herbsttage zu sehen. Nun haben wir ein Haus und das ist jetzt unser Wahrzeichen.
Dein Brief traf zur rechten Zeit bei Wagners ein. Hier fangen wir das Wintersemester an; ich lese mein Kolleg über Plato und wälze das andere, zu dem sich auch Theilnehmer gefunden haben, zu Gunsten meiner Augen ab. Overbeck ist nun auch vom Protestantenverein in die grosse Fehme gethan durch die Hand seines Spritzenmeisters Daniel Schenkel und Alfred Dove hat seine Theologie umdüstert bis zur Selbsterwürgung genannt, worin wir den Vorspuk der Puschmannerei sehen.
Wir alle werden uns von Herzen freuen, dich wieder unter uns zu sehen. Die Abende sind so traulich lang und der Kopf wieder gereinigt.
Lebe wohl alter lieber Freund
und herzlichen Dank für Deine guten Briefe. Sorge Dich nur nicht!
Dein Fr. N.
Herzliche Grüsse senden Overbeck und der Fabrikant dieses Lapidarstils.