1873, Briefe 287–338a
321. An Franziska Nietzsche in Naumburg
Basel Montag. <20. Oktober 1873>
Meine liebe Mutter, ich komme so spät dazu Dir für Deine guten Wünsche und schönen Geschenke, mit denen Du meinen Geburtstag bedacht hast, zu danken: so spät, weil ich längere Zeit und zumal auch an dem genannten Tage selbst unwohl war, und jetzt jede Art von Erkrankung sich auch durch größere Reizbarkeit der Augen bemerkbar macht. Das hindert mich dann zu arbeiten zu lesen und zu schreiben, es hindert mich auch Briefe zu schreiben und hat es verzögert, meinen Dank an Dich schriftlich abzufassen. Von den Weintrauben habe ich nur kosten dürfen: aber Alle, die davon gegessen zumal meine Freunde wußten sie sehr zu loben; von der Stolle, als dem halt- und dauerbareren Gegenstande, muß ich selbst nach meiner Erfahrung rühmen, noch nicht eine so schmackhafte genossen zu haben. Verschen Portemonaie und all die kleinen sonderbaren Gegenstände haben den gebührenden Effekt gemacht; im Übrigen wollen wir froh sein, daß ein Jahr ungefähr wieder leidlich überstanden ist: darüber könnte ich selber wohl schnarren und trompeten, nicht aber über das neue herankommende, von dem man so gar nicht wissen kann, was es bringt und das mir eher Furcht als Vertrauen einflößt. —
Morgen reist nun unsre Lisbeth ab, die mir treulich in diesem Sommer das Leben erleichtert und erheitert hat. Sie bringt von mir einige alte Kleider mit. Vielleicht gelingt es mir diese Weihnachten wieder wie im vorigen Jahr, mit Euch Beiden zusammen zu sein: zuletzt bleibt es doch die beste Zeit für unsre Zusammenkunft, ob sie gleich so kurz ist. Über alles, was mich betrifft, wirst Du nun durch Lisbeth mancherlei Ausführliches hören. Ich erlebe immer viel, aber es bleibt, als kurze Briefnotiz, unverständlich oder mißverständlich.
Die Erklärung in Betreff des Testaments habe ich neulich ausgestellt und wird wohl in Deinen Händen sein. Briefe zum Geburtstage bekam ich von Wilhelm, von Gustav, von Gersdorff aus Italien, von Deussen aus Genf und von Rohde, sowie aus Bayreuth. Mit dem Deinigen also sieben Stück. Auch Dr. Fuchs aus Berlin gab neuerdings wieder sehr ausführliche Nachricht und läßt Dich grüßen. Gersdorff kommt im December wieder hierher.
Nun gehab Dich recht wohl und denke meiner freundlich und wohlgemuth als
Deines Sohnes
Friedrich Nietzsche.