1877, Briefe 585–674
654. An Franz Overbeck in Zürich
<Rosenlauibad, 28. August 1877>
Lieber lieber Freund
in wenigen Tagen mache ich meine Heimfahrt, nach Basel. Meine Schwester ist schon dort und richtet ein (sie richtet immer viel aus, in solchen Dingen) Von dort aus will ich eines schönen Tages auch zu Dir, zu Euch hinüber kommen, denn es verlangt mich herzlich darnach, mit Dir zu reden und zu rathen. Der Aufenthalt hier oben war gewiss das Vernünftigste meiner ganzen Gesundheitsjagd; aber ich bringe sie auch von hier nicht heim. Eine Zeit lang wird’s aber schon vorhalten. Eins aber sehe ich jetzt mit völliger Klarheit: auf die Dauer ist eine akadem<ische> Existenz für mich unhaltbar. Ich habe täglich ungefähr 1½ Stunde Augenlicht zu verbrauchen, das weiss ich jetzt aus sorgsamer Beobachtung. Lese und schreibe ich länger, so muss ich’s schon am selben Tage mit Schmerzen büssen und wenige Tage darauf mit einem alten heftigen Anfall (Gestern hatte ich ihn wieder) Ich habe den 4 tägigen Besuch eines treffl<ichen> Arztes und Menschen gehabt, des Dr. Eiser aus Frankfurt (mit Frau) dessen Behandlung ich mich jetzt ganz anvertraut habe. Er fand, dass Prof. Schrön mich beinahe homöopathisch behandelt habe.
Nun drängen mich meine Gedanken vorwärts, ich habe ein so reiches Jahr (an innerem Ergebniss) hinter mir; es ist mir als ob die alte Moosschicht täglichen philologischen Nothberufs eben nur abgehoben zu werden brauchte — und alles steht grün und saftig da. Mit Missmuth denke ich daran, dass ich jetzt meine Ausbeute liegen lassen muss, vielleicht die frische Empfindung dafür und damit Alles verliere! Hätte ich doch irgendwo ein Häuschen; da gienge ich wie hier täglich 6-8 Stunden spazieren und dächte mir dabei aus, was ich nachher im Fluge und vollkommener Sicherheit auf’s Papier hinwerfe — so habe ich’s in Sorrent, so hier gemacht und einem im Ganzen unangenehmen und verdüsterten Jahre viel abgewonnen. (Nicht wahr, ich habe vor Dir mich nicht über diese Offenheit des Selbstgefühls zu entschuldigen?)
Alles Andre (und manches Andre) mündlich. Sage Deinen lieben An- und Zugehörigen meinen herzlichsten Dank für Alle Theilnahme und die wiederholte Einladung. Dir selbst mit innigem Händedruck das Beste wünschend, alter lieber Freund
F N.