1877, Briefe 585–674
602. An Franz Overbeck in Basel
<Sorrent,> 26 März 1877.
Lieber guter Freund, ich war gerade die ganze letzte Zeit, durch eine Verschlimmerung meines Augenleidens, nicht in der Verfassung des Lesens und Schreibens; so konnte ich nur in stiller schweigsamer Theilnahme Deinen Schmerz ehren, Deinen grossen Verlust beklagen und mich im Allgemeinen verwundern, wie der Mensch doch weiterlebt, wenn ihm die natürlichen Wurzeln abgeschnitten werden. Ich schloss daraus, dass er viel mehr Wurzeln haben müsse als er gewöhnlich annimmt; verliert er welche, so schafft er sich neue. Dabei dachte ich an Deine Ehe und meine, dass Dir dieselbe als beste Trösterin genützt haben wird. Schrieb ich Dir, dass ich meine Grossmutter verloren habe?
Mein Befinden erweckt mir viel Bedenken, ich sah die Nothwendigkeit ein, mich wieder der ärztlichen Hülfe anzuvertrauen und bin jetzt unter der Obhut des Professor Schrön (Universität Neapel) Einsalben des Kopfes mit Narcein, dann Gebrauch von Brom Natrium, nebst einigen diätetischen Vorschriften; nach drei Monaten soll ich berichten. In der That geht es jetzt den Augen wieder besser (ich war vollständig ausser Stande zu lesen)
Der letzte Monat war sehr schlecht, Kälte Sturm Regen fast unablässig. Rée und Brenner reisen Ende März ab. Seydlitzens kommen zu uns. Wir bleiben hier. — Rohde heirathet Pfingsten. Gersdorff’s Sache steht nicht gut.
Grüsse, mein lieber Freund, Deine Frau, dann Frau Baumgartner, Baumann, auch Immermanns.
Dem guten Köselitz bin ich Dank und Antwort schuldig.
Lebe wohl und sei der Liebe Deines Freundes gewiss.
Ich habe mancherlei durchdacht, was Dir, wenn wir zusammen kommen, zuerst vorgelegt werden soll.
Alle grüssen. — Bitte bezahle die Buchhändlerrechnung.