1877, Briefe 585–674
639. An Malwida von Meysenbug in Bad Faulensee
<Rosenlauibad,> 27 Juli. <1877>
Ist es möglich, verehrteste Freundin so viel Missgeschick zu haben? Ich war unterwegs, Sie zu suchen, und bin missmuthig hierher zurückgekehrt, nach einer sehr unangenehmen, durch Krankheit getrübten und unsinnig kostspieligen Herumreiserei. Sie hatten keine Adresse gegeben, aber ich glaubte an Aeschi, wie mein Vater an’s Evangelium, und so war ich auch in Aeschi.
Jetzt will ich Rosenlaui fünf Wochen lang nicht verlassen (eigentlich ist’s kein Wollen, sondern Müssen, unter dem Despotismus des Geldbeutels) Dann kehre ich nach Basel zurück, wo meine Schwester schon für unsern gemeinsamen Winteraufenthalt „arbeitet“. Mein Trost ist, dass Sie auch dorthin kommen wollen. Aber wie leid thut es mir, nun gar Niemanden der Ihrigen zu sehen — ich sah mir in Aeschi und Umgegend jeden kleinen Jungen an, ob es nicht Bébé wäre. Weil mir der Ort zu sonnig und zu windig vorkam, suchte ich Sie auch im Heustrichbade und blieb einen Tag dort, es ist eine Stunde von Aeschi entfernt; auch an Faulenseebad dachte ich. Aber nichts war über Sie zu erfahren als zuletzt die Notiz, von der ich jetzt Gebrauch mache, dass Briefe nach Thun poste restante zu schicken sei<e>n. Ein Telegramm nach Aeschi blieb unbeantwortet, natürlich; ich erklärte es mir aus einem Zufalle.
Ich hatte R<osenlauibad> verlassen, um in Luzern eine eintägige Zusammenkunft mit meiner Schwester zu haben, zur Feier ihres Geburtstages. Aber das Wetter wurde so schlecht, und meine Gesundheit schwankte hin und her, dass ein Tag nach dem andern verstrich: zuletzt wurde eine Abwesenheit von 14 Tagen daraus. Wie viel haben wir an Sie gedacht, wie mit Ihnen gelitten! Denn Sie haben einen heillosen Sommer bis jetzt erlebt. Jetzt wird es entsetzlich heiss; als ich nach Aeschi kam, hätte man mich essen können, wenn ich sonst schmackhaft wäre: denn gekocht war ich.
Hier ist es gut, aber zu viel Steigens für Sie, fürchte ich. Der Pensionspreis für Alles, Licht und Bedienung einbegriffen ist jetzt 7 oder 8 frs. (Der Wein wird besonders gerechnet.) Es sind nur Engländer da, sehr ange<se>hene zB der General Staatsanwalt Englands und der berühmteste engl<ische> Landschaftsmaler)
Mit Dr. Fuchs habe ich mich versöhnt. Ich fand einen sehr gehaltreichen Brief vor (62 Quartseiten, nebst geschriebenen Beilagen) In Meiringen fand ich bei Tisch einen Dr. med. Eiser aus Frankfurt, der alle meine Schriften im Berner Oberlande herumführte; ich habe eine ärztliche Consultation mit ihm gehabt, er fand dass Schrön mich mit homöopath<ischen> Dosen behandelt habe. Jetzt trinke ich wieder St. Moritz. — Ich freue mich, dass Sie an Prof. Schiess gedacht haben. — Mit wahrem Leidwesen sage ich aus der Ferne Lebewohl, Ihnen und allen Ihren Lieben.
F. N.
Es ging mir einen Tag gut, das meldete meine letzte Karte. Den Tag darauf lag ich zu Bette.
Ich fand hier alle Briefe und Karten von 14 Tagen vor.