1877, Briefe 585–674
597. An Franziska Nietzsche in Naumburg
<Sorrent, 18. Februar 1877>
Meine liebe Mutter, es schmerzt mich, durch eine Briefstelle Anlaß gegeben zu haben, daß Ihr unter einander etwas Verdruß hattet; genug, ich hatte gar nichts dabei gedacht und beabsichtigt. Ich schrieb an F<rau> R<itschl>, weil ich es für nöthig hielt, ebenso wie ich an Frau Gerlach schon vor Weihnachten und an Frau Brockhaus kürzlich geschrieben habe. Daß es mich angegriffen hatte, dafür könnt Ihr nichts; also — ich bitte um Entschuldigung.
Mein Befinden ist wieder sehr schlecht gewesen, fast desperat. Es gab Tage, wie um Weihnachten voriges Jahr. Innerhalb einer Woche lag ich 2 mal zu Bett, mit heftigen Schmerzen. — „Flimmern“ ist ein falscher Ausdruck für den Zustand meiner Augen. Ich kann nicht lesen, die Worte werden zu Klumpen.
Prof. Schiess, darüber consultirt, fand es beunruhigend, wenn es nicht bald weichen wollte; er empfahl mich in Neapel ärztlich zu berathen. (Neapel hat eine ausgezeichnete medicinische Fakultät an seiner Universität) Ich war dort und conferirte mit dem berühmtesten Arzt, Professor Schrön; und jetzt bin ich wieder ordentlich in Kur. Nach drei Monaten soll ich wieder kommen, wenn inzwischen keine neuen Symptome kommen. Alle Mittel wirken bei solch einem vorgeschrittenen Zustande meines Kopfleidens sehr langsam. Die Erklärung mit einem Kopfkatarrh ist nichts, vielmehr weiß ich jetzt sehr genau, wie das Übel beschaffen ist. Die erste ganz sorgfältige Untersuchung und Besprechung!
Sorrent ausgezeichnet zur Kur; namentlich als Augenkurort mit Recht gerühmt.
Meinen herzlichsten Dank für Alles Geschriebene und Mitgetheilte. (Ich selber kann nicht recht lesen was ich schreibe: Verzeihung, wenn alles sehr unordentlich aussieht)
mit herzlichen Grüßen
Dein F.