1876, Briefe 496–584
578. An Reinhart von Seydlitz in Davos
Sorrent près de Naples Villa Rubinacci 16 December 1876.
Nichts weiter, lieber Freund als ein Zeichen, dass ich Ihrer herzlich und namentlich mit den besten Wünschen für Ihre Gesundheit eingedenk bin: auch dass ich noch nicht alle Hoffnung aufgegeben habe, Sie hier in der schöneren Jahreszeit als einen unserer kleinen Sorrentiner Gemeinde zu begrüssen. Wir haben so mildes Wetter, dass einer meiner Freunde fast täglich im Meere baden geht; und ich steige auf die Berge und suche meinem Kopfschmerz zu entlaufen — bis jetzt freilich ohne wirklichen Erfolg.
Wenn man krank sein muss, so sei es wenigstens in solcher Gegend und unter solchen Freunden, wie ich sie habe: voran unsere ausgezeichnete mütterlich wohlthätige Frl von Meysenbug, von der ich Ihnen als von einer wahrhaft schönen Seele schon schrieb. Wagner’s waren vierzehn Tage mit uns zusammen. Es ist nicht unmöglich, dass sie ihre Schritte im nächsten Jahre wieder gegen Süden wenden, vorausgesetzt — was wie ich fürchte vorausgesetzt werden muss — dass die Bayreuther Sommerfeste im nächsten Jahre ausfallen: die Wolken sind gar zu schwarz und unheimlich gefärbt als dass die Kunst wieder ihr Zelt aufschlagen könnte. In diesem Falle werden wir Wagner wiedersehen, ohne auch nur einen Schritt weit zu gehen.
Ich möchte so gerne, lieber Freund, mit Ihnen erst ein Stück Leben gemein haben; wer weiss was sich alles auf solch einem Fundamente aufbauen lässt?
Inzwischen bleiben Sie mir gut und sagen Sie Ihrer Frau Gemahlin meine ehrerbietigsten Empfehlungen.
Treulich
der Ihre
Dr Friedrich Nietzsche