1876, Briefe 496–584
523. An Malwida von Meysenbug in Rom
<Basel, 11. Mai 1876>
Verehrteste Freundin, ich weiss wirklich nicht, wie ich Ihnen für das in Ihrem Briefe Ausgesprochne und Angebotne danken soll; später will ich Ihnen sagen, wie zur rechten Zeit dies Wort von Ihnen gesprochen wurde und wie gefährlich mein Zustand ohne dieses Wort geworden sein würde: heute melde ich Ihnen nur: dass ich kommen werde, um in Fano mit Ihnen zusammen ein Jahr zu leben. Ich sprach mit dem Präsidenten der hiesigen Universitäts-Curatel über die Möglichkeit eines Urlaubs vom October 1876—7; die definitive Beantwortung meiner Anfrage kann erst in 14 Tagen gegeben werden, aber dass man mir die volle Freiheit dazu geben wird, steht völlig sicher: darauf dürfen Sie sich verlassen!
Wahrhaftig, mit Niemandem möchte ich jetzt so gern ein Jahr als mit Ihnen zubringen — das dürfen Sie im wörtlichsten Sinne nehmen! Wollte ich es Ihnen genauer sagen warum — so würden Sie sehen, wie hoch ich Sie liebe und ehre!
Unserem Freunde Brenner weiss ich gar kein besseres Loos zu wünschen als in den Schutz Ihrer Mutterliebe zu kommen. Ich will mich bemühen, ihm auch meinerseits ein wenig von Nutzen zu sein, ich habe mancherlei erfahren und manches Gute vor mir; vielleicht dass er aus Rückblick und Vorblick etwas für sich selber entnehmen kann. Übrigens will ich gern ihm philologische Anleitung geben, falls er sie wünschen sollte.
Ich dachte diese Tage fast immer an „Fanum Fortunae“: für mich soll es ein „Glückstempel“ sein!
Mein Glück wird sein, das zu thun, wozu mich eine innere Stimme treibt; sonst will ich nichts. Es ist aber freilich sehr viel, und vielleicht der unbescheidenste Anspruch auf Glück. — Sie werden einen sehr unvollkommnen Menschen in mir kennen lernen. <In Dankbarkeit und Verehrung Ihnen ergeben
Ihr Friedrich Nietzsche.>
Ihr Buch wird von mir überall hin verbreitet, Freund Overbeck las es als erstes Werk zusammen mit seiner Braut. Ich schenkte es einer Engländerin, der Frau des Hr v. Senger in Genf, meines neuen Freundes. — In diesem Buche leben Sie fort und hören nicht auf, den Menschen wahrhaft Gutes zu thun.