1876, Briefe 496–584
555. An Malwida von Meysenbug in Schwalbach
Basel, den 26. September 1876.
Liebes, verehrtestes Fräulein!
Ich hatte Freund Brenner gebeten, Ihnen von mir Nachricht zu geben, zumal ich ungefähr 3 Wochen durch eine Atropin-Cur der Augen im wörtlichen Sinne am Schreiben verhindert war; aber der junge Dichter hält es, wie es scheint, mit Versprechungen wie alte Dichter. Mir geht es seit meiner Heimkehr schlecht; ich dictire diesen Brief unter abscheulichen Kopfschmerzen vom Bette aus.
Ungefähr alle acht Tage habe ich meinem Leiden ein dreißigstündiges Opfer zu bringen; desshalb vertröste ich mich ganz und gar auf das Zusammensein mit Ihnen im Golf von Neapel. Wir wollen dort schon die Gesundheit erzwingen! An dieser Hoffnung hat mich bisher Nichts irre gemacht. Wissen Sie, dass Dr. Rée mich begleiten will, im Vertrauen darauf, dass es Ihnen so recht ist? Ich habe an seinem überaus klaren Kopfe eben so wie an seiner rücksichtsvollen, wahrhaft freundschaftlichen Seele die größte Freude. Es kommt nicht darauf an, dass er mit uns beisammen wohnt. Ihre Pläne sollen natürlich, wenn dieß nicht angeht, in keiner Weise gestört werden, aber darauf dürfen Sie rechnen, dass wir Drei zusammen, Rée, Brenner und ich, um die Mitte October in Castellamare oder Sorrent je nach Ihrer Mittheilung eintreffen werden. Eine Nachricht unter meiner hiesigen Adresse kommt jedenfalls in meine Hände (Schützengraben 45).
Ich fühlte es die ganze Zeit, dass es der armen guten Olga schlimmer ergehe und war immer in meinen Gedanken besorgt. Sie erfreuen mich sehr durch die Mittheilung, dass ihre Genesung fortschreitet. Sagen Sie ihr meine innigsten Grüße und Wünsche.
Wagner telegraphirte mir von Venedig aus. Von morgen ab ist seine Adresse: Bologna, Hôtel de l’Italia.
In treuester Freundschaft
und Verehrung
Ihnen ergeben
Friedrich Nietzsche