1876, Briefe 496–584
547. An Elisabeth Nietzsche in Bayreuth
<Klingenbrunn, 6. August 1876> Sonntag.
Liebste Schwester, hoffentlich bist Du in Bayreuth und findest dort gute Menschen die für Dich sorgen, nachdem ich von dort verschwunden bin.
Ich weiss ganz genau, dass ich es dort nicht aushalten kann, ja eigentlich hätten wir es vorher wissen sollen! Denke nur wie vorsichtig ich bisher leben musste, die letzten Jahre. Ich fühle mich von dem kurzen Aufenthalte dort so ermüdet und erschöpft, ich komme gar nicht wieder recht zu mir. Einen schlimmen Tag hier gehabt, zu Bette gelegen; aber immerfort Schmerzen im Kopf, wie in gewissen Baseler Zeiten. Der Ort ist sehr gut, tiefe Waldung und Höhenluft, wie im Jura. Hier will ich bleiben, 10 Tage vielleicht, aber nicht wieder über Bayreuth zurückkehren; denn dazu wird es an Geld fehlen.
Ich ängstige mich darum, was Du nun mit der Wohnung anfängst (die ich übrigens gräßlich für mich, ja geradezu unmöglich fand, so schwül und unbequem ist sie) Ich habe Dir 100 Mark zurück gelassen und muß Dir, wenn ich nach Basel komme mehr Geld schicken; aber vielleicht ist der Plan mit Baumgartner’s gelungen. Diese mögen dann die Wohnung zahlen; und sie sollen dann die Patronatsscheine ganz umsonst haben. Thue dies alles, so wie es Dir gut scheint. Krug hat einen Schein für 100 Thl. gekauft, das erzählte mir Heckel aus Mannheim.
Also sehen wir uns in diesem Jahre vielleicht nicht wieder! Wie doch die Dinge laufen! Ich muß alle Fassung zusammen nehmen, um die grenzenlose Enttäuschung dieses Sommers zu ertragen. Auch meine Freunde werde ich nicht sehen; es ist alles jetzt für mich Gift und Schaden.
Ich bitte Dich ernstlich, Basel und Arlesheim nicht so leicht in Gedanken aufzugeben. Mir erscheint es als das einzig Mögliche.
Ich freue mich, Dich bei Frl. v. Meysenbug und ihrer Familie zu wissen. Es sind zu gute Menschen: danke ihnen in meinem Namen auf das Herzlichste. — Ich denke
Deiner mit Liebe als Dein
Bruder.
Eine Diarrhöe quält mich zu alledem.
Adresse: Klingenbrunn bei Regen, im baierischen Walde
Gasthaus zum Ludwigsstein.