1882, Briefe 185–366
359. An Franz Overbeck in Basel
<Rapallo, gegen den 20. Dezember 1882>
Lieber Freund, herzlichen Dank für Deine Nachrichten! Es geht etwas besser, oder vielmehr: es wird schon besser gehn! Viele Anfälle hinter mir. Es ist fast zum Lachen: ich habe jetzt 3 Jahre hinter einander fast um die gleiche Zeit an mein „Ende aller Dinge“ geglaubt! Indessen: ich bin zäh, und auch in anderm Betrachte habe ich genug Härte gegen mich noch vorräthig, um dem Leben noch etwas zuzusehn, selbst wenn es mich maltraitirt.
Trotzalledem muß ich in dem nächsten Jahre etwas in Hinsicht auf meine Zukunft erfinden und mich mir selber etwas mehr sicher stellen. Mit aller meiner „Vernunft“ bleibe ich ein leidenschaftliches und plötzliches Wesen; die Einsamkeit ist, je länger je mehr, etwas Gefährliches. —
Ich gieng dies Jahr mit einem wirklichen Verlangen zu „den Menschen“ zurück — ich meinte, man dürfe mir schon etwas Liebe und Ehre erweisen. Ich erlebte Verachtung, Verdächtigung und, in Hinsicht auf das, was ich kann und will, eine ironische Gleichgültigkeit. Durch einige böse Zufälle erlebte ich dies Alles in der grausamsten Form. — Objektiv betrachtet: es war höchst interessant. —
Nun stehe ich ganz einsam vor meiner Aufgabe und weiß auch, was mich nach deren Lösung erwarten wird. Ich brauche ein Bollwerk gegen das Unerträglichste. — —
Denke Dir: ich habe einen neuen Anhänger — nämlich Hans von Bülow („hingebende Theilnahme für mich“). Auch ein Brief des Dr. H. von Stein überraschte mich — er ist ganz stumm geworden durch „die fröhliche Wissenschaft“ und sendet mir einen „ehrfurchtsvollen Gruß“.
Da fällt mir ein, daß ich so gerne Deine liebe Frau noch über den Sanctus Januarius hören möchte.
Bizet war ein großer Genuß, ich wünschte um mich herum etwas Bizetismus in allerlei Gestalt. Ich habe die Idylle nöthig — zur Gesundheit.
Mit dem herzlichsten Gruße
(Santa Margarita Ligure, poste restante.)
Dein Freund F N.