1882, Briefe 185–366
264. An Malwida von Meysenbug in Mezzaratte bei Bologna (Entwurf)
<Tautenburg, vermutlich 13. Juli 1882>
Mögen Sie jetzt in der Nähe von Olga und ihren Kindern eine ruhig-tröstliche Sonnenzeit haben; möge namentlich das Zusammensein mit dieser geliebten Seele alle jene Befürchtungen zerstreuen oder mildern, welche Sie mir in Rom ausdrückten; dies und gar nichts Anderes wüßte ich Ihnen zu wünschen — alles Andre haben Sie ja!
Ich sitze hier inmitten tiefer Wälder und habe eben die Correctur meines letzten Buches zu besorgen; es führt den Titel „die fröhl. W<issenschaft“> und bildet den Schluß jener Gedanken-Kette, welche ich damals in Sorrent zu knüpfen anfieng ach, ich war immer ein solcher Bücher-Verächter und bin nun selber „der Sünde bloß“ oder wie sagt Gretchen? — mit 10 Büchern! Die nächsten Jahre werden keine Bücher hervorbringen — aber ich will wieder, wie ein Student, studiren. (Zunächst in Wien.)
Mein Leben gehört jetzt einem höheren Ziele und ich thue nichts mehr, was dem nicht frommt. Errathen kann es Keiner und verrathen darf <ich> es jetzt selber noch nicht! Aber daß es eine heroische Denkweise verlangt (und durchaus keine religiös-resignirte), will ich Ihnen, und Ihnen gerade am liebsten eingestehen. Wenn Sie M<enschen> mit dieser Denkweise entdecken, so geben Sie mir einen Wink: wie Sie es mit der jungen Russin gethan haben. Diese<s> Mädchen ist mit mir jetzt durch eine feste Freundschaft verbunden (so fest man dergl. eben auf Erden einrichten kann); ich habe seit langem keine bessere Errungenschaft gemacht. Wirklich ich bin Ihnen und Rée außerordentlich dankbar gestimmt, mir hierzu behülflich gewesen zu sein. Dieses Jahr, welches in mehreren Hauptstücken meines Lebens eine neue Crisis bedeutet (Epoche ist das richtige Wort, ein Mittelzustand zwischen 2 Crisen, eine hinter mir eine vor mir) ist mir durch den Glanz und die Anmuth dieser jungen, wahr<haft> heroischen Seele sehr verschönt worden. Ich wünsche in ihr eine Schülerin zu bekommen, und wenn es mit meinem Leben auf die Länge nicht halten sollte, eine Erbin und Fortdenkerin.
Beiläufig: Rée hätte sie heirathen sollen (um die mancherlei Schwierigkeiten ihrer Lage zu beseitigen); und ich meinerseits habe es wahrlich nicht an Zuspruch fehlen lassen. Aber es scheint mir jetzt eine verlorne Bemühung. Er ist in Einem letzten Punkte unerschütterlicher Pessimist, und wie er sich hierin treu geblieben ist, gegen alle Einwände seines Herzens und meiner Vernunft, hat mir zuletzt doch großen Respekt eingeflößt. Der Gedanke der Fortpflanzung der Menschheit ist ihm unerträglich: er bringt es nicht über sein Gefühl, die Zahl der Unglücklichen zu vermehren. Für meinen Geschmack hat er in diesem Punkte zu viel Mitleid und zu wenig Hoffnungen. Alles privatissime!
In Bayreuth werden manche meiner Freunde sich bei Ihnen einstellen und Ihnen wohl auch ihre Hintergedanken über mich einst verrathen; sagen Sie diesen Freunden allesamt, daß man es mit mir abwarten müsse und daß kein Grund zum Verzweifeln da sei.
Denken Sie, daß ich sehr zufrieden bin, die Parsifal-Musik nicht hören zu müssen. Abgesehen von 2 Stücken (denselben welche auch Sie mir hervorheben) mag ich diesen „Stil“ (dieses mühselige und beladene Stückchen-Werk) nicht: das ist Hegelei in Musik: und überdies ebenso sehr ein Beweis großer Armut an Erfindung als ein Beweis ungeheurer Prätension und Cagliostricität ihres Urhebers. Pardon! In diesem Punkte rigoros. — In Moral bin ich unerbittlich.